Ecuador

Tatort Dschungel

Bewohner der Schmetterlingsfarm Mariposas de Mindo.

Der Naturpark Mindo-Nambillo im Norden Ecuadors zählt zu den artenreichsten der Welt. Im Kampf um Nährstoffe zeigen sich die Pflanzen erfinderisch - und manche auch skrupellos

Erstaunlich echt: die Augenimitationen der Bananenfalter.

Kolibri auf der Kolibrifarm Mindo Lindo.

Fahrt durch die grüne Hölle: Seilbahn bei Mindo.

Der Wanderweg „Santuario de Cascadas“ führt vorbei an 15 Wasserfällen. Fotos: pa

Wir schaukeln mitten über der grünen Hölle, in einer kleinen Seilbahn mit rostigem Geländer und museumsreifer Aufhängung. Hinter uns ein dichter Blätterwald, vor uns ein weites Blättermeer und tief unter uns ein endloser Blätterozean. Ein 360-Grad-Panoramablick in der Farbe der Hoffnung, der uns trotzdem zweifeln lässt, ob wir diese garantiert TÜV-ungeprüfte Passage über den ecuadorianischen Regenwald lebend überstehen.

Das Gefährt würde auf jeden Fall den hiesigen Sicherheitsbestimmungen genügen, hatte man uns mit einem schalkhaften Lächeln beim Einsteigen versichert. Das wollen wir glauben und nicht weiter hinterfragen, bevor wir die andere Seite erreicht haben. Wir wollen auch nicht wissen, ob uns die Baumriesenkronen aufgefangen hätten, die dicht an dicht zusammenstehen wie ein organisches Plüschkissen.

Die Seilbahn am Rande der Ortschaft Mindo transportiert uns direkt ins Waldschutzgebiet Mindo-Nambillo, das sich als das artenreichste Ecuadors und sogar der Welt rühmt - zumindest dann, wenn man der Berechnung ausgewählte Flächen zugrunde legt. In dem 22.000 Hektar großen Naturpark, der sich in der Choco-Region von 1.400 bis auf 4.780 Meter erstreckt, wächst sowohl subtropischer Regenwald als auch Bergnebelwald.

Sommer und Winter regeln in diesem wilden Dschungelkreislauf nichts, denn die Region befindet sich auf der Höhe des Äquators. Die Temperaturen schwanken unmerklich, es gibt nur Zeiten mit mehr und weniger Regenschauern. Wer sich als Pflanze in diesem saft- und kraftstrotzenden Tohuwabohu durchsetzen will, muss groß und stark sein, erfinderisch und anpassungsfähig - oder skrupellos.

Ein schmaler Pfad führt uns an den Schauplatz des vegetativen Überlebenskampfes. Alles scheint sich umeinander zu schlingen, aneinander zu kleben und ineinander zu verzwirbeln wie ein gigantischer Kabelsalat der Natur. Flechten hängen wie zottige Bärte von Zweigen, Moose überziehen die Rinden wie feine Häkeldeckchen. Epiphyten hängen wie Lametta über den Ästen, Würgefeigen und andere Schmarotzer strangulieren ihre Wirte ohne Rücksicht auf Verluste. Jeder versucht auf seine Art, an Nährstoffe zu gelangen. Edelmut zählt dabei nichts und Raffinesse alles.

Dabei hatte das grüne Netzwerk auf den ersten Blick so harmonisch ausgesehen. Wie ein verwunschenes Feenreich mit gurgelnden Bächen, regenschirmgroßen Mammutblättern, schäumenden Wasserfällen, fleischigen Helikonienblütentrauben und den überlebenskünstlerisch hochbegabten Bromelien. Als mystische Zugabe hatte der Märchenwald am Morgen auch noch zarte Nebelschleier über die Riesenfarne, Eichen und lianenumwundenen Palmen gehängt.

Für Vögel ist der Naturpark Mindo-Nambillo ein echtes Paradies. Etwa ein Drittel aller ecuadorianischen Vogelarten kommen in dem Gebiet vor, darunter Kolibris, Papageien, Eisvögel, die großschnabeligen Tukane und die rot-grünen Quetzales. Allein 28 Kolibriarten leben auf der sieben Hektar großen Kolibrifarm Mindo Lindo. Die Juwelen des Regenwaldes tragen schillernde Namen wie Purpurbrustkolibri, Grünstirnbrillantkolibri und Bunthalskolibri. Am liebsten verweilen die flinken Vögel an den Tränken, um mit ihren langen, dünnen Schnäbeln an dem Zuckerwasser zu nuckeln und dann urplötzlich wie winzige Propellermaschinen nach Irgendwo durchzustarten.

An die Kolibrifarm angeschlossen ist die Hosteria Sachatamia, eine ökologisch geführte Lodge mit wildromantischem Badeteich und zwölf Hütten. Die blanken Holzdielen und blumenbemalten Betten und Schemel lassen Schweizer Berghüttenheimeligkeit aufkommen, wären da nicht die exotische Vegetation und der vielstimmige Dschungel-Chor. Mit der Dunkelheit beginnt es im Dickicht zu knistern, heulen und tschilpen, dass Stadtmenschen irritiert die Ohren spitzen: Was klingt da, als wäre eine Autoalarmanlage losgegangen? Ist es ein Vogel, eine Kröte oder etwas ganz anderes?

Als eine spannende Sehenswürdigkeit entpuppt sich auch die kleine Schmetterlingsfarm Mariposas de Mindo. Wir sehen sowohl lebensmüde Schmetterlinge, die ihre letzten Flügelschläge tun, als auch Falter, die gerade schlüpfen. Die Kokons sind türkisfarbenen und golden, man könnte sie glatt mit Edelsteinen verwechseln. Um Schalen mit Obstresten haben sich Scharen von Bananenfaltern versammelt, deren dunkle Flecken auf den Außenflügeln zu den besten Augenimitationen der Tierwelt zählen. Insgesamt 25 verschiedene Spezies hausen in dem Gehege, besonders hübsch anzuschauen sind die bläulichen Himmelsfalter.

In der freien Urwaldwildbahn von Mindo soll es mehr als 4.500 Schmetterlingsarten geben. Auf unserer Wanderung bekommen wir nur wenige Falter und Vögel zu sehen, allerdings lechzen wir mit zunehmender Hitze sowieso nach einer anderen Attraktion: dem "Santuario de Cascadas", 15 heiligen Wasserfällen, die vielleicht auch Glück und Segen bringen, gewiss aber eine Abkühlung in der triefenden Schwüle.

Und wahrlich, das kristallklare Wasser ist fast so eisig wie ein Kneipp-Becken und piekt wie Nadeln in die Waden. Erquickt marschieren wir weiter - über kleine Hängebrücken, glitschige Steine und durch grüne Blättertunnel zum nächsten Wasserfall. In Ecuador steht rund 18 Prozent der Landfläche unter Naturschutz. Es gibt fast 40 Nationalparks und Schutzgebiete - Mindo-Nambillo gehört zweifelsfrei zu den schönsten.

Nun heißt es noch einmal den Verstand ausschalten und mit der Rostbeulenseilbahn zurück nach Mindo gondeln. Dort könnte man noch andere Waghalsigkeiten unternehmen, zum Beispiel mit einem Seil über Schluchten schwingen, auf Gummireifen den Rio Mindo heruntertreiben oder einen Night Walk durch den Dschungel buchen. Aber wer braucht das jetzt noch.  

Pilar Aschenbach

Mindo im Internet
Schmetterlingsfarm Mariposas de Mindo: www.mariposasdemindo.com 
Kolibrifarm Mindo Lindo: www.mindolindo.com 
Hosteria Sachatamia: http://sachatamia.com 

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