Peru

Strickende Männer ...

Stricken ist auf Taquile Männersache.

Stricken ist auf Taquile Männersache.

... und schwimmende Inseln. Zu Besuch am Titicacasee in Peru  

Gehen wie auf einer Luftmatratze – Dorfplatz einer schwimmenden Insel

Gehen wie auf einer Luftmatratze – Dorfplatz einer schwimmenden Insel. Fotos: jm

Auf „Kamisaraki!“ folgt „Waliki!“. Das ist so bei den Urus in Peru. Kamisaraki heißt wörtlich übersetzt „Wie geht’s?“ und wird als Begrüßung verwendet. Also antwortet Mama Auwelia mit herzlichem Lächeln: „Waliki!“ – gut geht’s!

Frau Auwelia begrüßt die Gäste auf ihrer Insel Totora Marka, die sie sich mit ihrem Mann, einem Fischer, und den drei Kindern teilt. Die Familie lebt vom Fischfang, der zum Eigenbedarf und für Tauschgeschäfte dient: Gegen Fisch bekommt man am Festland Kartoffeln und Mais sowie bares Geld. Und wie alle 2.000 Urus, die auf 49 verankerten der insgesamt 80 schwimmenden Inseln im Titicacasee wohnen, lebt auch die Familie Auwelia vom Tourismus.

Das ist Mutters Geschäft. „Ja, ja“, sagt sie, „man läuft auf unseren Schilfinseln wie auf einer Luftmatratze.“ Routiniert zeigt sie ihr kleines Eiland und wartet mit erstaunlichen Fakten auf: Drei Monate Arbeit braucht man für ein Haus aus Totora-Schilf, acht Monate für ein Schilfboot und ein Jahr für eine Insel.

Die Haltbarkeit ist begrenzt. Der zwei Meter dicke Wurzelblock, auf dem die Insel gebaut ist, hält zwar 20 Jahre, doch alle drei Wochen muss Schilf nachgelegt werden. Ein Boot wird schon nach 18 Monaten unbrauchbar. Und dennoch sind die bewohnten Schilfinseln ein seit Jahrhunderten autarkes Dorfgebilde, heutzutage auch mit Krankenhaus, Schule, Kirche und einer sehr einfachen Pension. 45 Euro kostet die Nacht pro Person, inklusive Frühstück und Abendessen, in einer Schilfhütte mit vier Matratzen, die ebenfalls aus Schilf sind. Mehr Einrichtung gibt’s nicht.

Pro Tag legen maximal 30 Schiffe bei den Urus an. Die meisten der täglich 200 bis 250 Touristen kaufen handgemachte Souvenirs oder buchen eine Tour mit einem Schilfboot. Deshalb verteilt der Dorfchef die Touristenschiffe genau nach Plan, so dass jede Familie ein gleich großes Stück vom Gästekuchen abbekommt.

Weniger straff durchorganisiert ist Taquile, die Insel der strickenden Männer, deren höchste Erhebung auf über 4.000 Metern liegt. Der Titicacasee ist mit 3.809 Metern Höhe der höchste schiffbare See der Welt und mit seinen knapp 8.500 Quadratkilometern etwa 13 Mal größer als der Bodensee und fast so groß wie Korsika.

Und es ist wohl der einzige Platz der Welt, wo Männer keine Frau abkriegen, wenn sie nicht ordentlich stricken können. „Und passiert das mal“, sagt Salvador von der Kooperative, und wie alle Insulaner in Tracht, „fällt die Verantwortung auch auf den Vater zurück: Denn der hat dann seinem Sohn das Handwerk nicht richtig beigebracht.“ Schon ab sieben Jahren beginnen die Buben, das Stricken zu lernen auf Taquile, dieser merkwürdigen Insel für 3.000 eher scheue Einwohner, die trotz der Strickerei eine Macho-Insel ist. Denn Frauen gehen in der Öffentlichkeit traditionell zwei Schritte hinter dem Mann.
Jochen Müssig