Spanien

„Stormwatching“ in Kantabrien

Der Sturm wütet am Dünenstrand von Liencres vor den Toren der kantabrischen Hauptstadt Santander.

In den Wintermonaten an der sturmgepeitschten Nordküste Spaniens

Ruhe nach dem Sturm: die kantabrische Küste bei Liencres. Fotos: hs

Der Wind rupft an den Halmen auf den Dünen von Liencres, als wolle er allen Strandhafer auf einmal umpflanzen. Seit Stunden schon führt er sein expressives Wellenballett an der Küste von Kantabrien auf und schlägt den Golf von Biskaya schaumig. Immer neue Atlantikbrecher schieben sich Richtung Küste heran, zerbersten an vorgelagerten Klippen, rollen auf dem festen, goldenen Sand aus.

In den Wintermonaten stürmt es häufig und heftig an der spanischen Nordküste mit ihren Klippen, den herrlichen Stränden, die viel länger und breiter und schöner sind als die meisten am Mittelmeer. Saison ist hier nur im Juli und August. Kaum Ausländer sind dabei, fast nur Spanier. Aber neuerdings kommen ausgerechnet im Winter immer mehr Fremde: Sie reisen zum "Stormwatching" an, nisten sich in kleine Hotels ganz oben auf den Klippen ein, um die Unwetter hautnah zu erleben.

Diese Nacht fängt der weiter erstarkende Wind zu heulen an. Zwölf Stunden geht das so. Es klingt wie die Begleitmusik zum Untergang der Welt. Seeschwalben reiten davor den Wind aus, hängen im stärksten Sturm reglos über der Playa de los Locos in der Luft. Sie schweben auf der Stelle, ohne die Flügel zu bewegen. Den Vögeln scheint dies indes zu gefallen. Irgendwann stürzen sie sich senkrecht in die Tiefe, um sich knapp über der Wasseroberfläche von einer Böe wieder auffangen zu lassen und weiter zu reiten.

Bald darauf ist der Sturm mit einem Schlag vorbei. Die Menschen kommen wieder aus ihren Häusern hervor, und vor mancher Bar an der kantabrischen wie der westlich anschließenden asturischen Küste stehen wieder Tische und Stühle im Freien. Angler reihen sich an der Mole von Ribadesella auf, plaudern wie fast immer von Prinzessin Letizia, Ehefrau von Spaniens Kronprinz Felipe, deren Oma in Ribadesella wohnt und die häufig hier zu Besuch ist.

Enrique Luzuriaga hat diese Stürme immer geliebt, ist dann 112 Steinstufen nach oben gestiegen, um alle Urgewalt aus nächster Nähe zu erleben: Er war der Leuchtturmwärter von Santander - der letzte, bevor die Anlage automatisiert und das einstige Wärterhaus in ein Museum verwandelt wurde. Einen Schlüssel zum Turm hat er noch, und wenn es richtig stürmt, steigt er noch manchmal auf die Plattform hinauf wie früher - oder fährt zum Strand von Liencres in der Nähe der kantabrischen Hauptstadt Santander. "Um die Stürme zu fühlen", sagt er. "Du spürst die Macht der Natur, die Urgewalt der Zeiten. Das pustet den Kopf frei, lädt Dich auf." Er lächelt. Und hält den Kopf in den Wind.
Helge Sobik
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