Spanien

Little Grand Canyon

Einer der wenigen Schäfer in der Bardenas Reales.

Die Wüste Bardenas Reales im Norden Spaniens ist erst wenig besucht, birgt aber großes Potenzial

Manche Wege sind für Radler ausgeschildert. Fotos: mc

Die Erde scheint zu glühen. Es ist heiß. Brutal heiß. Und es ist trocken. Staubtrocken. Kein Wölkchen am azurblauen Himmel. Aus dem Rucksack von Radolfo lugt ein Regenschirm - trotz der Witterung. "Der ist gegen die Sonne", grinst der Schäfer und wischt sich den Schweiß von der geröteten Stirn. Unterdessen machen seine Schafe Halt und knabbern an ein paar Kräutern."Die sind gut für das Fleisch", sagt Radolfo, "weil sie so aromatisch sind." Dank der vielen Sonnenstunden. In den Bardenas Reales in der nordspanischen Provinz Navarra scheint die Sonne annähernd so häufig wie in den heißesten Gegenden Südspaniens.

Das Klima ist extrem. Im Winter und im zeitigen Frühjahr schneiden sintflutartige Regenfälle pittoreske Muster in den lehmigen Boden und ins weiche Gestein. Der Rest des Jahres ist schier endloser Sommer. Wer in der Wüste harter Arbeit nachgeht wie das ein Dutzend Schafhirte und eine Handvoll Landwirte tun, der mag sich fragen, was Touristen freiwillig in diese Gegend zieht. Die Antwort: die Stille, die Tierwelt und die sagenhafte Landschaft mit ihren Lehm- und Steinformationen.

Kilometerlang türmen sich bizarre Gebilde auf, geformt von Wind und Regen. Eine Szenerie wie in einem Western. Man fühlt sich nach Arizona oder Colorado versetzt. Manch Besucher taufte die Bardenas schon "Little Grand Canyon", wie Inaki erklärt. Er ist Fremdenführer im Auftrag des neuen Besucherzentrums.Es wurde in der Nähe des Dorfs Aguerdas errichtet - um die Einmaligkeit dieser Landschaft zu vermarkten und Touren zu organisieren. Davor lagen die Bardenas Reales im Dornröschenschlaf. Pro Jahr verirrten sich nur ein paar Tausend Touristen in die Wüste zwischen den Provinzstädten Olite und Tudela.

2011 wurden immerhin schon 100.000 Besucher gezählt. Eine nach wie vor ausbaufähige Zahl für einen Naturpark von 450 Quadratkilometern Fläche und einem Wegenetz von rund 1.000 Kilometern Länge. Unzählige Pfade und ein paar Schotterstraßen durchziehen das Gelände. Manche sind als Radwege ausgeschildert, andere wiederum dürfen nicht betreten werden - aus Naturschutzgründen. Denn das riesige Areal ist ein ideales Refugium für seltene Arten, vor allem für Vögel. An einer Wegkreuzung stoppt Inaki seinen Jeep. Der Guide holt Stativ und Fernrohr aus dem Kofferraum. Keine Minute später ist ein junger Mönchsgeier samt Nest im Blickfeld.

Die Bardenas waren in früheren Zeiten auch Rückzugsort für Banditen. Inaki berichtet von einem besonders gerissenen Räuber, der die Oberen und sich in der Wüste versteckt hielt. Der König von Navarra kümmerte sich nicht weiter um den Delinquenten. Bis sich dieser selbst zum "König der Bardenas Reales" ernannte. Das war dem echten zu viel. Er ließ den falschen König aufspüren und hinrichten. Diese Geschichte erzählt Inaki unterhalb eines ockerfarbenen Hügels. Auf diesem sind die Überreste eines Schlosses aus dem 13. Jahrhundert zu sehen.

Apropos Schloss: Fast alle Touren beginnen oder enden am Castilditierra, einem wirklich ungewöhnlichen Naturdenkmal. Wie eine Nadel ragt es tollkühn aus dem Lehmboden. Wer es sehen möchte, hat noch ein paar Jahre Zeit. Aber in 30 Jahren, so schätzen Geologen, wird der Lehmberg von Wind und Regen abgetragen sein. Doch womöglich hat die Natur mit ihren Launen bis dahin ganz neue Attraktionen in den Bardenas Reales geschaffen.
Martin Cyris
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