Spanien

Bei den Nachfahren der Piraten

In der Hafeneinfahrt der Isla Tabarca ist während der Saison Hochbetrieb.

Isla Tabarca: 20 Familien und fast genauso viele Restaurants

Im Sommer selten: leere Straße auf der Insel. Fotos: hs

Erst spät an den Abenden kommen sie langsam wieder aus ihren Rückzugswinkeln hervor und erobern durch bloße Präsenz ihre Insel für die Stunden der Nacht zurück: die Strände, die Klippenküsten, die Agaven. Dann sitzen die Alten wieder auf wackeligen Holzstühlchen vor ihren in kräftigem Blau oder Giftgrün getünchten Haustüren auf der Insel Tabarca. Spätabends spielen die Jungs wieder Fußball in den Gassen zwischen den niedrigen Quaderhäuschen.

Im Sommer aber ist tagsüber zu viel los auf Tabarca, zu viel Andrang auf die kleine Seefahrer- und Fischerinsel elf Seemeilen vor der spanischen Mittelmeerstadtstadt Alicante. Dann ist Hochsaison auf dem einstigen Pirateneiland, das heute vor allem von den Tagesbesuchern lebt.

Erst wenn das letzte Ausflugsboot zurück zum Festland – nach Santa ‧Pola, nach Guadamar, in den Stadthafen von Alicante oder nach Campello – wieder abgelegt hat und nur noch die Gäste der weniger als 20 Zimmer in den Straßen unterwegs sind, dann kommen auch die Einheimischen wieder hervor, öffnen sich Holztüren zu lauschigen Innenhöfen.

In den drei Monaten, wenn das Geschäft brummt, müssen die Einheimischen das Geld fürs ganze Jahr verdienen. Es ist dann, als ob alles Mobiliar der Insel in den Straßen steht, jeder Tisch, jeder Stuhl, jeder Sonnenschirm. Die sonst so kleinen Restaurants wuchern auf Straßen und Plätze. Jedes Stück Stellfläche ist kostbar – und begehrt, wenn die vielen Badegäste zum Mittagessen herbeiströmen.

Eisgekühlte Cola oder Bier gibt es dann. Oder Alicantiner Wein. Und ‧dazu meistens gegrillten Fisch – fangfrische Dorade oder Rotbarbe zum Beispiel. Oder in seiner eigenen Tinte gegarten Octopus. Außerhalb des Sommers aber gibt es eindeutig zu viel Gestühl auf der Insel, die gerade mal 1.800 Meter in der Länge und maximal 400 Meter in der Breite misst.

Salvador Diaz hat längst aufgehört zu zählen, wie oft er schon hergekommen ist. Der stämmige kleine Mann mit der sonnengegerbten Gesichtshaut ist Berufspendler im wörtlichsten Sinn. An manchen Sommertagen schaut er gleich viermal vorbei. Seit über vierzig Jahren fährt er auf Ausflugsbooten. Auf See kennt er in seinem Fahrtgebiet jede Untiefe, an Land eden Kieselstein. „Weißt Du“, sagt er, „hier auf dem Wasser bin ich zu Hause.“ Sein Schlafzimmer aber ist Tabarca nicht. „Zu viel Einsamkeit, sobald die Tagesbesucher weg sind“, sagt er. „Zu still für mich.“ Er wohnt im elf Seemeilen entfernten Alicante.

Es gibt andere, die extra bleiben, um die Stille dieser Abende zu erleben. Die paar Zimmer sind deshalb schnell ausgebucht: weil es sich gut anfühlt, für ein, zwei Nächte dazu zu gehören.
Helge Sobik