USA

Legende am Pazifik

Spektakuläre Ausblicke bietet der Highway 1 zum Beispiel in der Region Big Sur

Spektakuläre Ausblicke bietet der Highway 1 zum Beispiel in der Region Big Sur. Foto: JohnMcGrawPhotography/iStockphoto

Kalifornien: Auf dem Highway 1 entlang der wilden Westküste der USA

Carmel-by-the-Sea ist ein mondäner Ort mit vielen noblen Boutiquen

Carmel-by-the-Sea ist ein mondäner Ort mit vielen noblen Boutiquen. Foto: Oliver de la haye / iStockphoto

Mit Urgewalt peitscht der Wind die Pazifikwellen gegen die Klippen von Big Sur. In Sekunden sind die winzigen Sandbuchten überspült, zerfallen die Wellen in Abermillionen kleinster Wasserspritzer, die meterhoch Richtung Himmel jagen. Aus sicherer Deckung beobachtet ein Rudel schläfriger Seelöwen das Geschehen, Möwen vollführen Flugkunststücke, Pelikane üben Gleitflug und lassen sich vom Wind zwei, drei Meter über der Wasserlinie die Küste entlangtragen.

Plötzlich setzen sie zum Sturzflug an, tauchen in den Ozean ein, packen Fische mit dem Schnabel und steigen wieder auf, bevor der nächste Brecher anrollt: Beutejagd an Kaliforniens wilder Küste anderthalb Autostunden südlich von San Francisco.

Nur zweispurige Piste

Hoch über dem Szenario spannen sich gewagte Brückenkonstruktionen über die Küstentäler der Santa-Lucia-Berge. Ein schmales Asphaltband klammert sich bis zum Rand der Abbruchkante an die Steilküste. Zweispurig ist die Piste und für amerikanische Verhältnisse ungewöhnlich schmal: der legendäre Highway No. 1 – eine der spektakulärsten Straßen der Welt. Lastwagen haben hier Seltenheitswert. Sie sind längst auf den vier- bis achtspurigen neuen Highway 101 ausgewichen, der ein paar Kilometer weiter landeinwärts schnurgerade durchs Land verläuft. Wer es eilig hat, tourt nicht über den Highway 1.

Aktuell ist er zwischen San Francisco und Los Angeles ohnehin nicht durchgehend befahrbar, es gibt mehrere Sperrungen und Umleitungen, weil es in den Wintermonaten zu Erdrutschen gekommen ist. Voraussichtlich ab Juli sollen die Baustellen verschwunden sein.

„Storm watching“ auf den Felsen

Was eben noch wild war, kann sich Minuten später friedlich geben und plötzlich so aussehen, wie man sich Kalifornien eigentlich vorstellt. Spiegelglattes Wasser, dazu die Sonne hoch über dem Horizont, mediterranes Licht. Surfer tauchen wie aus dem Nichts auf und gleiten vor der Küste entlang. Seelöwen rutschen von ihren Felsen und spielen vergnügt – bis genauso plötzlich Nebel aufzieht, als würde ein Vorhang vor die große Theaterbühne gezogen und der Wind zum zweiten Akt pusten.

„Storm watching“ nennen die Amerikaner das: mit dem Wagen bei klarem Wetter auf einen der Rastplätze an der Seeseite des Highways fahren, auf die Felsen setzen, die Gedanken ziehen lassen und in die Tiefe blicken, als wollte man mit den Wellen tanzen. Wem das nicht genügt, der konnte früher in den Orten entlang des Highways zwei CDs für je 14,95 Dollar kaufen und das Erlebnis später zuhause im Wohnzimmer auffrischen. Die eine hieß „Gentle Ocean“ und bot 60 Minuten lang einlullendes Meeresrauschen, die andere „Ocean of Thunder“ – „Donner-Ozean“, eine Stunde ungehemmtes Wellenkrachen wie zu Anbeginn der Zeiten. Und angeblich auch live am Pazifik bei Big Sur aufgenommen, wenn man der CD-Hülle Glauben schenken durfte. In Streaming-Zeiten ist dieses Souvenir leider fast ausgestorben.

Überraschung ein paar Kilometer weiter: Unten am schmalen Strand zelebriert ein Priester eine Hochzeit. Ein Klapptisch dient als provisorischer Altar. Braut und Bräutigam knien im Sand und als Orgel-Ersatz dient das Pfeifen des Windes. Die Sonne gibt dieser ungewöhnlichen Trauung ihren Segen: stahlblauer Himmel für die Zeremonie, für die die gesamte Hochzeitsgesellschaft schmale Pfade heruntergestiegen ist.

Ort der Reichen und Schönen

Carmel-by-the-Sea, ein Bilderbuch-Städtchen am Highway, hat derweil nichts von der Urgewalt der Natur: Der Ort ist blitzsauber und sehr geordnet. Das Lebensgefühl der Reichen und Schönen ist auf Schritt und Tritt spürbar. Neonreklame ist verboten. Schauspieler-Ikone Clint Eastwood war hier vor langer Zeit für zwei Jahre Bürgermeister und verdient mit an der touristischen Attraktivität seiner Heimatstadt: Ihm gehört das Hotel Mission Ranch.

Erst viel weiter wird die Küstenlinie sanfter. Grüne Hügel rollen bei San Simeon in Richtung Meer, wo Zeitungsmilliardär Hearst sich sein persönliches Neuschwanstein errichten ließ: Hearst Castle, ein Schloss mit 115 Zimmern. Die Bauherren der Gegenwart lieben es inzwischen moderner. Auf dicken Betonstelzen thronen ihre Villen oberhalb der Strände von Morro Bay – mit bestem Blick vom Wohnzimmer aus auf den Sonnenuntergang überm Pazifik. Und auf all die Wellen.

Helge Sobik
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