Kanada

Leif Erikssons Sommerfrische

350 Kilometer lang: Der "Viking Trail" verläuft entlang der Westküste von Neufundland von Fischerdorf zu Fischerdorf.

Auf dem Viking Trail an Neufundlands Westküste

Hält die kleineren Boote bis in den Sommer hinein in den Buchten gefangen: Eisgang an Neufundlands äußerster Westküste. Fotos: hs

Als er das letzte Mal da war, hatten sie den blankpolierten roten Feuerwehr-Truck und das neue Gerätehaus neben der Kirche noch nicht. Als er das letzte Mal da war, gab es den Tante-Emma-Laden mit der giftgrün getünchten Holzfassade nah am Wasser und den 13 Sorten aromatisierter Kartoffelchips im Regal noch nicht. Auch nicht die Wäscheleine gleich nebenan, wo gerade lange Unterhosen bei zehn Grad im Sommerwind trocknen.

Als er zuletzt vorbeischaute, gab es diese Straße noch nicht, dieses gut 350 Kilometer lange Asphaltband mit seinen zwei schmalen Fahrspuren, das sich von Sant Anthony nach Deer Lake entlang der Westküste von Neufundland spannt und die kleinen Fischerorte miteinander verbindet. Dabei ist die Straße nach ihm benannt. Und nach seinen Leuten. Sie heißt "Viking Trail" - der Wikinger-Pfad.

Denn dass er das letzte Mal hier war, liegt über tausend Jahre zurück. Und gekommen war er ursprünglich nur aus Versehen, weil die Strömung es so wollte und vermutlich, weil zusätzlich ein Sturm nachgeholfen hat. Um das Jahr 996 muss es gewesen sein, als der Wikinger Leif Eriksson aus Island kommend die Westküste von Neufundland erreichte. Mit seinen Mannen betrat er nordamerikanischen Boden - fünf Jahrhunderte bevor derjenige es ein paar Tausend Kilometer weiter südlich nachmachte, der dafür berühmt werden sollte: Christoph Kolumbus.

L'Anse aux Meadows heißt die Stelle heute - das legendäre Leifbudir aus der Überlieferung. Archäologen haben dort Werkzeuge der Wikinger, verzierte Knochenschnitzereien, Tonkrüge und einen Stein zum Schärfen von Waffen gefunden, alles in allem über 2.000 einzelne Artefakte - eindeutig Spuren eines über einen längeren Zeitraum hinweg unterhaltenen Wikingerlagers. Heute sind dort zur Veranschaulichung Gebäude aus einfachen Holzkonstrukten mit Torf und Grassoden als Dacheindeckung an historischer Stelle neu errichtet worden - ganz im Stil der Wikinger. Die Stätte ist Unesco-Welterbe und hat doch nur vergleichsweise wenige Besucher.

In Aquarellfarbtönen getünchte Fischerhäuser ducken sich heute nicht weit von hier an die Küste, bilden immer wieder kleine Dörfer. Aus geöffneten Fenstern dringt irische Folklore, die Lieblingsmusik der Leute auf Neufundland, die in ihrer Mehrzahl von irischen Einwanderern abstammen. Immer gehören Stege, Kutter und Stapel aus Hummerfangkörben vor den Bootshäusern zu den Orten.

Kinder spielen auf dunkelgrünen Sommerwiesen, kicken mit dem Fußball irgendwo zwischen Feuerwehrauto und der langen Unterwäsche von Papa auf der Wäscheleine. Von irgendwoher kläffen Hunde, die nichts wirklich bewachen, viel lieber zum Spielen aufgefordert werden und am allerliebsten schwimmen wollen: Labradore und Neufundländer. Sie lieben dieses Klima. Und die Weite. Und das Wasser. Ihnen ist egal, ob die Sonne scheint und das Meer in fast karibischem Türkis leuchtet oder ob es bleigrau und schwer daliegt.

"Well, warmer Tag heute!", findet Jeff Parker aus St. Anthony. Und: "Viel Verkehr auf der Iceberg Alley dieses Jahr!" Wenn Fremde auftauchen, geben sich Einheimische schnell leutselig - auch das ein irisches Erbe: "Der stramme Nordostwind treibt die Eisberge schnurgerade von Grönland aus herunter vor unsere Küste, wo sie dann langsam schmelzen." Bis weit in den Sommer hinein reiten die gletscherblauen Riesen draußen auf dem Wasser der Strait of Belle Isle Wellen und Gezeiten aus.

Irgendwo zwischen solchen Kolossen wie diesen hindurch werden die Wikinger ihre Segelboote einst navigiert haben. Forscher gehen heute davon aus, dass die kampferprobten Recken mehrfach die Reise hierher angetreten haben - weil sich die Kunde von der ersten Zufallsanlandung und dem unerwartet fruchtbaren Boden in ihrer Heimat herumsprach.
Helge Sobik
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