Reisevertrieb

Gerd Laatz: Brandbrief an Angela Merkel

Gerd Laatz will auf die verheerende Situation der Reisebüros aufmerksam machen

Gerd Laatz will auf die verheerende Situation der Reisebüros aufmerksam machen. Foto: Ziel

Vor wenigen Tagen appellierte er noch an TUI, jetzt wendet sich Gerd Laatz in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Für den Ziel-Geschäftsführer und Reisebüro-Inhaber geht es um die Zukunft von 40.000 Arbeitskräften in den Reisebüros. touristik aktuell veröffentlicht den Brief in gekürzter Form:

„Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Merkel,

hätte ich einen Betrieb mit 40.000 Arbeitsplätzen und stünde vor der Insolvenz, könnte ich mir Ihrer vollen Aufmerksamkeit sicher sein. Den habe ich nicht, ich versuche es trotzdem. Lassen Sie uns für ein Gedankenspiel und einige Zeilen dieses Briefes davon ausgehen, ich hätte genau diese Anzahl an Arbeitsplätzen. Sie würden garantiert alles unternehmen, um diesem Betrieb zu helfen.

Apropos Hilfe: Für die Hilfe, welche die Bundesregierung und die Landesregierungen aktuell der Wirtschaft geben, muss ich zunächst einmal aufrichtig danken. Wir können froh sein, in Deutschland zu leben und zu arbeiten.

So schildere ich heute – als selbsternannter Stellvertreter von 40.000 Reisebüro-Mitarbeitern in Deutschland – wie dramatisch die Situation für die Vertriebssäule der Tourismuskonzerne ist und setze auf Ihre wache Aufmerksamkeit.

40.000 Reiseverkehrs-/Tourismuskaufleute sind für 80 Prozent des Umsatzes der von Großveranstaltern produzierten Pauschalreisen sowie unzählige Individualreisen für die reisefreudigen Kunden in gut 10.000 deutschen Reisebüros verantwortlich. An die 1.500 Reisebüros arbeiten darüber hinaus deutschlandweit mit einem Buchhaltungssystem für Reisebüros, welches in einer weiteren von mir geführten Firma konzipiert wurde. Damit sehe ich die Zahlen von 6.000 der vorgenannten 40.000 Arbeitsplätze detailgenau und weit mehr als nur repräsentativ. Es sind ungeschönte Zahlen, es sind wahrhaftige Zahlen und es sind selten genannte Zahlen voller Tücke.

Diese 40.000 Mitarbeiter sind durch ein massives Finanzierungs- und Absicherungsdefizit der Touristikkonzerne, aber gleichfalls auch durch mangelndes eigenes Zahlenverständnis schon vor der Corona-Krise nun durch diese in eine mehr als existenzbedrohende Situation geraten.

Mir geht es aktuell nicht um einen weiteren Zuschuss hier oder dort. Die Reisebüros sind krisenerfahren und die Unternehmer werden dank Ihrer bereits ermöglichten Unterstützungsmaßnahmen auch diese Zeit mit der Regierung gemeinsam meistern. Nur der Grundstein für das Danach muss jetzt gelegt werden.

Diese Menschen holen den Veranstaltern – bis weit über die Belastungsgrenzen hinausgehend – von 9/11 über Golfkriege, Vulkanausbrüche, diverse erlebte Airline-Insolvenzen, die Thomas-Cook-Insolvenz und jetzt die Corona-Krise die Kohlen immer erfolgreich aus dem Feuer, ohne dafür auch nur ansatzweise bezahlt zu werden.

Hinzu kommt, dass dahinter tatsächlich Millionen von Arbeitsplätzen in Hotels, Zielgebietsagenturen oder bei Dienstleistern (vom Parkplatz am Flughafen bis hin zum Transferunternehmen oder Reiseleiter) in der touristischen Wertschöpfungskette hängen. Die Thomas-Cook-Insolvenz im vergangenen Jahr hat die Absicherungs- und Finanzierungs- und leider auch die Gesetzeslücken sowie die teilweise menschenverachtende Erlös- und Liquiditätsverteilung der gesamten Branche zum ersten Mal mehr als deutlich zutage gefördert, bevor wieder zum ‚business as usual‘ zurückgekehrt wurde. Leider. Das muss nach der Krise anders werden!

Unsere größte Herausforderung: Würde es uns nicht mehr geben, würde eine ganze Industrie zusammenbrechen, denn es würden 80 Prozent der Umsätze wegbrechen. Umsätze bei Konzernen, die gerade mit einem Kraftakt von Regierung gemeinsam mit der KfW gerettet werden!

Das größte Problem der Reisebüros: Wir werden wegen keiner oder bestenfalls schlechter Lobby-Arbeit einfach nicht wahrgenommen. Verbände und Reisebüro-Vertriebsorganisationen sitzen sprichwörtlich zwischen den Stühlen und können für Reisebüros nicht wirklich tätig werden.

Ich danke Ihnen auch aufrichtig für die vielfach kritisierte Gutscheinaktion, mit der Reiseveranstaltern das Leben gerettet werden soll, so die EU-Hürden genommen werden. Sicher hätte man sich optimalere Lösungen vorstellen können. Aber keiner kann verlangen, dass in einer solchen Zeit die optimalste Lösung für alle Beteiligten gefunden wird. Wenn so lange diskutiert wird, bis es zu spät ist, ist ja schließlich keinem geholfen.

Es war gut, dass die Big Player bereits gerettet wurden oder kurz davorstehen, gerettet zu werden. Sonst wäre das Ende der Pauschalreise für die als Reiseweltmeister viel besungenen Deutschen besiegelt.

Diese Industrie ist weit größer als viele Branchen, die permanent im Fokus der Regierung stehen – wird aber durch ihre kleinteilige Organisationsstruktur nicht (oder bestenfalls partiell nur die Großbetriebe) wahrgenommen.

Deswegen spreche ich heute und hier nur für die 40.000 Reisebüro-Mitarbeiter. Die stellen die Wurzeln des touristischen Vertriebsbaumes. Wenn Sie nicht nur die Baumkrone konservieren, sondern auch die Wurzeln erhalten wollen, dann muss hier angepackt werden, und das sehr schnell.

Viele kaufmännisch und fachlich sehr versierte Kollegen weiß ich an meiner Seite – quer durch alle Vertriebsorganisationen. Ich glaube an die touristische Zeitrechnung nach der Krise – gerne bin ich mit an Bord, wenn es darum geht, die Wurzeln des Vertriebs zu erhalten. Dafür opfere ich seit dem 15. März sehr gerne jede freie Minute.

Wie kann ich helfen, dass die Reisebüros wahrgenommen werden? Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung. Lassen Sie uns die Reisebüros retten!

Sollten Sie der Meinung sein, Unternehmen, die so lange ohne Bezahlung bereit sind zu arbeiten, sind es nicht wert, gerettet zu werden, dann würde ich Sie sogar verstehen. Dann könnten Sie aber auch direkt im Anschluss die Milliarden, die Sie touristischen Konzernen an KfW-Darlehen gewährten, direkt abschreiben. Die Kettenreaktion wäre nicht aufzuhalten, da die touristischen Konzerne die Vertriebs- und Krisenarbeit dank digitaler Steinzeittechnologie nicht bewältigen würden.

Hubert Burdas Holiday-Check oder Preisvergleichsportale, die mit Rabatten um sich schmeißen, könnten das nicht stemmen. Die Telefone der Konzerne sind vielfach für Endkunden seit Krisenbeginn nicht mehr oder kaum noch erreichbar. Die Reisebüros machen diese Arbeit – ohne Entlohnung. Täglich höre ich von eigenen Kunden unseres Reisebüros, wie dankbar sie sind, im Reisebüro und nicht online oder direkt beim Veranstalter gebucht zu haben.“

 
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