Das Urteil des Amtsgerichts Nordhorn sorgt weiter für Diskussionen. Während die Verbände DRV und ASR das Urteil begrüßen und ihre Rechtsauffassung bestätigt sehen, wertet VUSR-Chefin Marija Linnhoff die Entscheidung als Schwächung des stationären Vertriebs.
„Als Vorstand sehen wir es mit großer Sorge, dass das Urteil öffentlich von Teilen der Reisebüros bejubelt wird. Dass Online-Anbieter diese Entwicklung begrüßen, ist nachvollziehbar – schließlich stellt sich die Frage, warum Kundinnen und Kunden künftig noch den Weg in ein Reisebüro gehen sollten, wenn der stationäre Vertrieb seinen eigenen Mehrwert öffentlich infrage stellt“, schreibt Linnhoff auf der Facebook-Seite des VUSR.
Es sei nicht Aufgabe der Reisebüros, Liquiditäts- oder Bilanzanalysen vorzunehmen. Für solche Prüfungen seien Wirtschaftsprüfer, Kooperationen und Verbände zuständig, erläutert sie. Jedoch habe es ausreichend Hinweise auf die finanzielle Schieflage von FTI gegeben. „Wenn ein Reisebüro nicht eindeutig warnen konnte beziehungsweise wollte, lag das nicht unbedingt an fehlender Kenntnis der finanziellen Schieflage, sondern unserer Meinung nach an der kaufmännischen Denkweise des Reisebüros!“, kritisiert Linnhoff. „Die Provisionen für einen erfolgreichen Abschluss waren/sind offensichtlich wichtiger als das Vertrauen der Kunden.“
Diskussionen auf Facebook
Tatsächlich zeigen sich nicht alle Reisebüros über die Entscheidung erleichtert. „Ich hoffe, das Landgericht korrigiert das Urteil! Warum sollen Kunden uns sonst noch Vertrauen? Es wäre so einfach gewesen, den Kunden bei Buchung von Einzelleistung zu informieren, was bereits Wochen vorher im Handelsblatt, et cetera zu lesen war. Der Kunde hätte dann selbst entscheiden können“, schreibt eine Reiseexpertin auf der Facebook-Seite von touristik aktuell.
Ein Kollege ergänzt: „Dieses Urteil verringert den Grund, in einem Büro zu buchen. Ein Vertrauen zwischen Kunde und Vermittler wird damit untergraben. Das soll positiv sein? Denn nun ist es so, dass alle Büros praktisch einen Freifahrtschein besitzen, Veranstalter zu buchen, bei denen es die Spatzen von den Dächern zwitschern, dass es knarzt. War dies nicht einer der Hauptgründe, so etwas im Reisebüro zu buchen? Dann kann der Kunde gleich bei Check 24 buchen – denn Erfahrung, Empathie und Ehrlichkeit sind dort nicht relevant. Es geht in die nächste Instanz und das ist gut so.“
Reisebüro-Betreiber: „Urteil schützt realistische Beratungspflichten“
Gegen diese Argumentation wehrt sich ein Inhaber aus Arnsberg. „Wäre das Urteil anders ausgefallen, wären doch weitere Streitigkeiten vorprogrammiert und ich müsste als Reisebüro-Betreiber immer fürchten, die Situation mangelnder interner Informationen falsch einzuschätzen“, schreibt er. Er stelle infrage, dass das Urteil seine Beratungsrolle schwäche. „Die Beratungsstärke von Reisebüros entsteht doch nicht dadurch, dass wir Insolvenzen vorhersagen sollen.“ Kaum jemand im Vertrieb habe ausreichenden Zugriff auf interne Finanzdaten oder die Expertise eines Wirtschaftsprüfers. „Das Urteil schützt realistische und vor allem leistbare Beratungspflichten – nicht die Beratung selbst. Es verhindert völlig überzogene Erwartungen.“
Das Amtsgericht Nordhorn hatte wie berichtet am Donnerstag die Klage eines FTI-Kunden abgewiesen. Dieser hatte bei seinem Reisebüro ein Hotel über FTI als Einzelleistung gebucht. Nach der Insolvenz des Veranstalters buchte er auf eigene Kosten ein neues Hotel und verlangte Schadensersatz von seinem Reisebüro. Dieses hätte ihn bei der Buchung im März 2024 auf die wirtschaftliche Schieflage von FTI hinweisen müssen, argumentierte er. Das Reisebüro habe seine Pflichten verletzt. Er verwies unter anderem auf Hinweise zu einer geringen Eigenkapitalquote sowie Veröffentlichungen in Fach- und Publikumsmedien.
Gericht: Voraussetzung für Informationspflicht sind „konkrete“ Hinweise
Laut den Richtern sind Reisebüros durch den Vermittlungsvertrag zwar zu Aufklärung und Beratung verpflichtet. Sie müssen im Rahmen dieser Beratungs- und Aufklärungspflicht eine sorgfältige Auswahl treffen und grundsätzlich nur Leistungen von Anbietern vermitteln, „die eine korrekte Durchführung der Reiseleistung erwarten lassen“, heißt es in der Urteilsbegründung. Eine grundsätzliche Kontrollpflicht des Vermittlers jedoch gebe es nicht.
Eine Informationspflicht des Reisebüros bestehe dann, so die Richter, wenn es von einer drohenden Insolvenz eines Veranstalters wisse oder eine solche den Umständen nach erkennbar ist. Voraussetzung seien „konkrete“ Hinweise.
Das Gericht betonte zudem, dass Reisebüros auch die Interessen ihrer Vertragspartner wahren müssen. Würden sie bereits bei vagen wirtschaftlichen Problemen warnen müssen, könnte dies eine „Garantiehaftung" bedeuten. Zudem könnten unbegründete Warnungen den Geschäftsbetrieb des Veranstalters schädigen und sogar eine Insolvenz beschleunigen.

