Japan

Japan: Die Meeresfrauen von Ise

Nach den Tauchgängen machen sich die Frauen an die Zubereitung. Getaucht wird ohne Atemmaske.

Nach den Tauchgängen machen sich die Frauen an die Zubereitung. Getaucht wird ohne Atemmaske. Fotos: fh

Schnecken- und Perlentauchen auf der japanischen Halbinsel  

Wäre es weniger diesig, man könnte die Ise-Halbinsel schon vom Nagoya-Centrair-Flughafen aus sehen: Felsige Buchten und steile, grün bewaldete Hänge zeichnen Ise aus. Hier und da tuckern Fischkutter die Küste entlang, Gummistiefel und Arbeitshosen gehören definitiv zur Standardkleidung. Für den westlichen Reisenden ein ganz neuer Blickwinkel: In Japan gibt es einsame Gegenden, sogar direkt am viertgrößten Ballungsraum des Landes.

Auch die Wellblechhütten am Wegesrand, in denen kleine Gruppen Frauen mit weißer Leinenkappe am Feuer kauern, passen nicht ins geläufige Bild von Nippon. Es sind Ama-Taucherinnen, die hier auf traditionelle Weise Abalone und Kreiselschnecken aus dem Meer holen. Ohne Atemgeräte wohlgemerkt, bis zu 30 Meter tief.

Seit mehr als 2.000 Jahren gibt es den Beruf der „Meeresfrau“, so die Übersetzung, und viel hat sich seither nicht geändert, vom Dresscode einmal abgesehen. Bis in die 1950er Jahre tauchten die Ama noch nackt, dann kamen die weißen Baumwollgewänder auf, die nicht nur Haie abschrecken sollten, sondern auch der neuen Prüderie Genüge taten. Heute benutzen die meisten Ama Neoprenanzüge. Männer sind in diesem Beruf übrigens nicht zu finden: Sie gelten als zu schwach und verfroren.

Ohnehin wirkt der Beruf auf den ersten Blick etwas antiquiert: Technisch gesehen bräuchte man die Ama schon lange nicht mehr, denn mit einer ordentlichen Tauchausrüstung ließe sich viel effizienter arbeiten. Doch genau das ist das Problem: Die Gewässer wären schnell überfischt. Schon allein deshalb ist die Abalone-Fischerei mit Tauchausrüstung hier nicht erwünscht. Solange dies so ist, finden hin und wieder auch jüngere Frauen den Weg in den Ama-Beruf. Meist als Teilzeitkräfte, nach der Geburt der Kinder. Und weil man als Ama doch noch ganz passabel verdienen kann.

Für den Touristen mit straffem Reiseplan gibt es die inszenierte Tauchshow auf der Perleninsel Mikimoto Island: Im Stundentakt fahren die Boote vor die Tribüne am Wasser, ohne zu zögern hüpfen die Darstellerinnen, nur mit dem weißen, nachthemdartigen Baumwollgewand bekleidet, eine nach der anderen in die kalten Fluten. Auch wenn es eine Demonstration ist – Darstellerinnen und Leistung sind echt. Infos zur Ama-Show unter www.mikimoto-pearl-museum.co.jp/en.
Françoise Hauser
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