Japan

Japan: Tokios schrille Schwester

Wer in Osaka eine Shopping-Tour plant, fragt besser Einheimische als den Reiseführer nach dem Weg. Foto: fh

Osaka braucht sich hinter der Hauptstadt keineswegs zu verstecken

Osaka ist die Stadt der Komiker und Quasselstrippen, der bunten Strähnchen und frechen Anzüge, der durchgeknallten Modekreationen und der klotzigen Accessoires. Auch die vermeintlich typisch japanische Zurückhaltung legen die Osaker nur selten an den Tag. So sehr Tokio mit Licht und Moderne protzt, Osaka ist auch im Alltag immer ein wenig lauter und schriller.

Der Vergleich kommt übrigens nicht von ungefähr: Wie es sich für eine echte Metropole gehört, unterhält die Stadt eine langjährige Konkurrenz zur Hauptstadt. In der Tat ist Tokio seit Langem der politische Machtpol Japans. Hier sitzen Kaiserhof und Parlament und natürlich ein Großteil der Bildungsinstitute. In Osaka freilich ist man stolz auf die Weltoffenheit und den Geschäftssinn. Denn bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der internationale Handel über Osaka abgewickelt, während man im Rest des Landes jeden Kontakt nach außen scheute.

Scheu ist Osaka auch heute nicht: In der Fußgängerzone der Dotonbori im Zentrum plärren Komiker von großen Bildschirmen, während zu ihren Füßen Jugendliche in schickem Business-Anzug, mit Krawatte und hochtoupierter Igelfrisur flanieren, fast so, als hätte man ihnen morgens versehentlich den falschen Kopf aufgesetzt: Osaka ist das japanische Mailand mit Ruhrpott-Schnauze, eine Stadt, die es eigentlich verdient, dass man ihr mehr Beachtung schenkt. Schon alleine, weil sie das europäische Bild Japans gehörig ins Wanken bringen kann.

Am einfachsten ließe sich der Europäer wahrscheinlich mit den Shopping-Möglichkeiten locken – wenn er denn davon wüsste. Und finden sollte er sie auch, was sich manchmal als gar nicht so einfach erweist. Kita, laut Reiseführer eine der Boutiquen und Kitschzentren, erweist sich als so völlig Laden-frei, dass selbst der Japan-Neuling ahnt: Das kann einfach nicht sein! Irgendwo zwischen all den modernen Wolkenkratzern muss es doch wenigstens einen Kiosk geben. Oder einen 24-Stunden-Laden.

Des Rätsels Lösung ist nie mehr als fünf Meter entfernt. Allerdings in der Vertikalen: Osaka versteckt seine Tausende schräger Läden gerne im Untergrund. Während ebenerdig die „Salarimen“ zwischen den Bürotürmen umherhuschen, shoppen ihre jugendlichen Sprösslinge in den Boutiquen einige Meter tiefer unter den Straßendecken, was das Herz begehrt und das Portemonnaie hergibt.

Doch Osaka hat auch Historie zu bieten. Angefangen von der imposanten Burg bis zum buddhistischen Sitenoji-Tempel aus dem Jahre 593. Zugegeben, beide wurden nach Feuersbrünsten wiederholt wieder aufgebaut, allerdings nach Originalplänen. Oder dem rührend abgeblätterten Shinsekai-Viertel rund um den Tsutenkaku-Tower. Nachts geht es hier in zahlreichen Clubs und Restaurants zur Sache, von horizontalen bis zu hippen Etablissements, tagsüber zeigt sich Shinsekai von der privaten Seite: Ein mittägliches Frühstück im Grill-Imbiss neben der Bardame von gegenüber und, wenn die Sprachkenntnisse es ermöglichen, sogar ein kleines Schwätzchen. Von japanischer Reserviertheit keine Spur – Shinsekai liegt schließlich in Osaka.
Françoise Hauser
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