China

Im Warenhaus des Himmels

Die Leute in Chengdu betätigen sich gerne sportlich, während ...

Stille Tempel, sattgrüne Panda-Habitate, eine farbenfrohe Küche und die vibrierende Mega-City Chengdu: Die südwestchinesische Provinz Sichuan verblüfft mit großartigen Gegensätzen

... Pandas am liebsten Bambus futtern.

Maske aus der Zeit der frühen Shu-Kultur.

Feuertopf, eine Art Fondue auf Sichuanart.

Brokatmuseum in Chengdu.

Unesco-Welterbe: der Buddha von Leshan ...

... und der heilige Berg Emei mit einem 48 Meter hohen Blattgoldbuddha. Fotos: pa

Die Parkbesucher juchzen und tippen auf ihre Smartphones. Ein Pandajunges hat sich auf die Hinterbeine gestellt und ist nun mit seinen Tatzen und der schwarzen Nase ganz dicht an der Glasscheibe und den Nasen der Chinesen. Dann dreht das schwarz-weiße Pelzbündel wieder ab, klettert übermütig auf ein Holzgerüst und wieder herunter, strolcht um ein grünes Plastikschaukelpferd und kugelt sich auf dem Boden. Die chinesischen Touristen schauen verzückt auf ihr verspieltes Nationaltier, das in der Miniaturausgabe besonders liebens- und schützenswert erscheint: die Tapsigkeit, der große Kopf, die kleinen Ohren und die umwölkten Knopfaugen, die aussehen, als wären schwarze Tränen herausgeflossen.

Die Pandaforschungsstation ist der Augenstern und ganze Stolz von Chengdu, der Hauptstadt der südwestchinesischen Provinz Sichuan und selbst gekürten Pandakapitale, deren Wachstum schon vor weit über zwei Jahrtausenden begann, als der Herrscher von Shu seinen Sitz hierher verlegte, dem Ort qua nomen den Auftrag "werde Hauptstadt" (Chengdu) erteilte, und das Rote Becken in der darauffolgenden Qin-Dynastie durch ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem in eine fruchtbare Ebene verwandelt wurde. In ein Warenhaus des Himmels, wie die Einheimischen sagen, weil es hier einfach alles gebe - was auch gut so ist, denn Sichuan gilt als bevölkerungsreichste Gegend des bevölkerungsreichsten Landes der Welt.

Später boomte Chengdu als Brokatstadt, handelte mit Tee und Salz, spezialisierte sich außerdem auf Hibiskus, dessen Blüten sich im Tagesverlauf von Gelb nach Rosa verfärben und deswegen auch betrunkene Konkubine genannt werden, stieg in die Papierproduktion ein und setzte schließlich auf die Hightech- und Pharmaindustrie. Zugleich erblühte Chengdu intellektuell - mit Dichtern und Denkern wie Du Fu, dessen Verse aus dem 8. Jahrhundert noch immer jedes Kind in der Schule lerne, wie unsere Stadtführerin Zuyan Xiao erzählt.

Heute ist die Megastadt am Brokatfluss einer der kraftstrotzendsten Motoren der chinesischen Weltwirtschaftslokomotive. Etwa elf Millionen Menschen leben in der Metropolregion, viele Kilometer grauer Wolkenkratzerwald, eine Fahrt wie durch Betonbambus, zwischen dem statt Vogelgezwitscher ein dissonantes, aber umso energischeres und vollkommen überflüssiges Hupkonzert erschallt, denn schneller geht es dadurch nicht voran. Die Infrastruktur hat mit dem rasanten Bevölkerungswachstum nicht Schritt gehalten, es gibt erst zwei Metrolinien. Und so fädeln sich Massen von Mopeds, Autos, Bussen, Radfahrern und Passanten von früh bis spät durch platzende Straßen, über denen nach Regenschauern, die nicht selten sind, Waschküchendampf mit einer satten Portion Smog hängt.

Den Pandas käme es nicht in den Sinn, sich aus freien Stücken in ein solches Getümmel und Getöse zu stürzen. Sie lieben die Ruhe, das Alleinsein und - wenn sich der kindliche Spieltrieb ausgewachsen hat - den Müßiggang. Auf dem 100 Hektar großen Gelände vor den Toren Chengdus führen sie ein Luxusleben mit schnauzengerecht serviertem Bambus und bekömmlichem Pandabrot, klimatisierten Räumen gegen die tropischen Temperaturen, exzellenter medizinischer Versorgung und ganztägiger Betreuung für den Nachwuchs - freilich zum Preis der Gefangenschaft und des Begafftwerdens wie ein Superstar.

"Die Pandas haben eine große Bedeutung für uns", sagt Frau Xiao, die sich extra für den Ausflug in den Park einen Hut mit Pandaohren aufgesetzt hat. Schließlich lebten die Großbären nur hier, in den Bergwäldern im Südwesten Chinas, in freier Wildbahn. Sie zu schützen und vor dem Aussterben zu bewahren sei eine große Ehre und Verantwortung. Diese Erkenntnis kam allerdings spät: Als die Regierung in den neunziger Jahren die Abholzung der Baumbuswälder stoppte, war bereits die Hälfte der Habitate zerstört. Der Bestand umfasst noch 1.600 Exemplare zuzüglich einiger Dutzend Zoopandas weltweit - Gaben aus dem Reich der Mitte, schließlich ist das WWF-Wappentier ein super Sympathieträger.

Während sich die Pandas eher weniger für Sport begeistern und gelegentlich von ihren Trainern mit Ködern animiert werden müssen, damit sie nicht degenerieren, sind die Bewohner von Chengdu äußerst bewegungsfreudig. Tag für Tag versammeln sie sich auf Plätzen und in Parks zu körperlichen Betätigungen. Ein wahrer Zirkus der Leibesübungen ist der Volkspark unweit des Tianfu-Platzes mit der riesigen weißen Mao-Statue. Aus mitgebrachten Rekordern dudelt chinesische Volksmusik, zu der sich Rentner sanft im Kreise drehen, Tanztee auf Chinesisch. Nebenan wird eine Choreografie mit Fächern und Tüchern einstudiert, wieder einige Meter weiter Tai-Chi praktiziert, mit und ohne Schwert. Eine Damengruppe spielt Phönixball, eine Trendsportart, bei der bunte Plastikpuschel mit Schlägern herumgewirbelt werden. In einem Pavillon bei dem großen Teehaus Hi-Ming üben Jugendliche die hohe Kunst des Kung-Fu.

Touristen aus Europa sieht man erst wenige in Chengdu, das nach Peking und Shanghai weiter unten oder noch gar nicht auf der Liste der China-Besucher steht. Dabei verblüfft die Gegend an der Grenze zu Tibet mit sensationeller Natur und Kultur wie nebelumflorten Bergwäldern, Wasserfällen, heißen Quellen und der Ausgrabungsstätte Sanxingdui mit Tausenden Fundstücken der frühen Shu-Kultur: meterhohen Bronzebäumen, goldenen Zeptern, aus Jade gefertigten Werkzeugen, Waffen und Ritualgegenständen sowie dämonisch grinsenden Bronzemasken mit Segelohren und fernrohrartigen Stielaugen. Der Buddha von Leshan, ein 71 Meter großer Koloss in einer Felswand des Min-Flusses, zählt wie der heilige Berg Emei, dessen Dreitausendergipfel mit einem 48 Meter hohen Blattgoldbuddha veredelt wurde, zum Unesco-Weltkulturerbe.

Einst waren die sattgrünen Hänge des Emei mit mehr als 100 Tempeln gespickt, doch die meisten wurden während der Kulturrevolution vernichtet. Auch in Chengdu hat der kulturelle Kahlschlag gewütet, und so gibt es neben den wenigen echt alten Erbschaften wie dem taoistischen Tempel Qing Yang, der die Begierdelosigkeit und Schlichtheit idealisierende Weltanschauung mit einem fast schon barocken Hallen- und Altarbombast vertritt, inzwischen auch historisierte Viertel wie Jinli mit geschwungenen Dächern, roten Lampions, Kunsthandwerk und Kitsch.

Pandas sind Nahrungsspezialisten, die sich aus bisher nicht abschließend geklärten Gründen eine strenge Bambusdiät verordnet haben, obwohl ihr Verdauungstrakt über die Zelluloseberge gar nicht happy ist. Der Sichuan-Küche hingegen ist Monotonie vollkommen fremd. Sie feiert ein Fest der Vielfalt aus Fleisch, Fisch, Tofu, Pilzen, Wurzeln, Sprossen und Nüssen, offenbart sich als ein kulinarisches Kaleidoskop aus Gesottenem, Geschmortem und Gebratenem, ist ein Spiel mit Ingwer, Sternanis, Koriander und Knoblauch - regiert, aber nicht dominiert von Chili- und Sichuanpfefferschärfe, die so unvergessen bleibt wie die einzigartigen Schätze der zu Unrecht erst wenig bekannten Region.  

Pilar Aschenbach

 

Buchungsinformationen

Reisen in die Provinz Sichuan werden von mehreren Studien- und Erlebnisreiseveranstaltern angeboten. Ikarus Tours hat zum neuen Nonstop-FlugFrankfurt-Chengdu von Air China (www.airchina.de) einen Sonderkatalog aufgelegt. Mitte Juni ist unter www.ikarus.com eine weitere Sichuan-Rundreise buchbar, die in acht Tagen unter anderem in den Volkspark in Chengdu, zur Pandaforschungsstation, zum Museum Sanxingdui, zum Berg Emei und zum Buddha von Leshan führt.

 
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