China

Ohrenschmalz zum Jasmintee

Der Chengduer Volkspark ist ein Treffpunkt zum Teetrinken inklusive Ohrenputzen, ...

Die südwestchinesische Megametropole Chengdu lädt zum Staunen ein: über alte Tempelpracht, neue Stilbrüche und sonderbare Sitten

... Tai-Chi üben...,

... Verkuppeln von Heiratswilligen ...

... und Tanzen mit Fächern. Fotos: pa

Der Tai-Chi-Meister mustert seine Schülerin wohlwollend, aber kritisch: Sind die Bewegungen präzise, weich und fließend, stimmen die Körperspannung und der Atemrhythmus? In ihren weißen, seidig schimmernden Gewändern sehen die Schattenboxer wie Engel aus, die auf ihrem Flug über den dunstigen Großstadthimmel von Chengdu eine Rast auf Erden eingelegt haben. Zwei Wesen, die über allem Gewimmel zu schweben scheinen, erfüllt von strahlender Anmut und jugendlicher Leichtigkeit, obwohl der Meister schon Mitte Siebzig ist und sich seine Elevin in den Fünfzigern bewegt.

An diesem sonnigen Montagvormittag geht es im Volkspark von Chengdu wie auf einem großen Seniorensportplatz zu. Kaum sind wir aus dem Megastadthupkonzert in die grüne Stille abgetaucht, rollt sich ein neuer Klangteppich vor uns aus - chinesische Volksmusik aus unzähligen Rekordern, alle paar Meter ein anderer klimpernder, scheppernder, miauender Sound. Er gibt den Takt für Paar- und Solotanz an, liefert das Hintergrundgedudel für Choreografien mit Fächern und Tüchern, animiert zu Ballspielen und Gymnastik.

Und zwischen all den kreisenden, wippenden und steppenden Alten vollführen die Tai-Chi-Gruppen mit unerschütterlicher Seelenruhe ihre Übungen, die so anschauliche Namen haben wie "Den Bogen spannen, auf den Tiger schießen" oder "Die Mähne des wilden Pferdes teilen".

Der Volkspark ist ein hervorragender Ort, um ein Stück Chengduer Lebensart zu schnuppern. Hier, unweit des Tianfu-Platzes mit Nobelkaufhäusern und der riesigen Mao-Statue, kommen alle zusammen, die Lust auf Gesellschaft und Entspannung haben: an Werktagen vor allem Pensionäre, an den Wochenenden auch Familien und junge Leute, die ihren Marktwert mit modischen Merkwürdigkeiten zur Schau stellen. Bei den Männern sind hochgekrempelte T-Shirts angesagt - und zwar ganz egal, ob dadurch Waschbrett- oder Wohlstandsbäuche freigelegt werden. Die Mädchen setzen auf Porzellanpuppen-Look mit Tüllkleidchen, Ballerinas und spitzenbesetzten Schirmen für den blassen Teint.

Die Eltern halten derweil an der Kontaktbörse des Parks nach einer guten Partie Ausschau. Die Partnervermittlung besteht aus nicht mehr als einigen Bambusrohren, an denen die Steckbriefe der Anwärter klemmen.In den schattigen Korridoren des Parks wird geschlendert, Eis gegessen und überhaupt südländische Gelassenheit praktiziert. Denn trotz der Masse von elf Millionen Menschen ist Chengdu darin ganz groß. Das Verkehrsgemenge aus Autos, Mopeds, Radfahrern, Bussen und Passanten fädelt sich so gelenkig durch die Straßen wie die Tai-Chi-Kampfsportler elastisch sind. Zuyan Xiao ist nach ihrem Deutschstudium in Shanghai deswegen auch in ihre Heimatstadt zurückgekehrt: "Andere chinesische Großstädte sind mir zu hektisch", sagt die Reiseführerin.

Bei Touristen will Chengdu als Welthauptstadt der Pandabären und Tor zu den Kultur- und Naturschätzen der südwestchinesischen Provinz Sichuan punkten: etwa mit dem gigantischen Steinbuddha von Leshan, dem mystischen Berg Emei voller buddhistischer Klöster und der Ausgrabungsstätte Sanxingdui mit sensationellen Funden aus der frühen Shu-Kultur.

In Chengdu hat die Kulturrevolution das Erbe der Jahrtausende deutlich dezimiert. Und doch verbergen sich in der Metropole zwischen eisengrauen Hochhausschluchten, glitzernden Konsumtempeln internationaler Modegötter und historisierten Vierteln, die mit geschneckten Dächern und roten Lampions zerstörtes Kulturgut romantisch simplifiziert aufbereiten, noch einige Kostbarkeiten.

Da sind zum Beispiel das Brokatmuseum, das die frühe Blüte Chengdus als Produzent kunstvollster Stoffe dokumentiert, und die taoistische Tempelanlage Qing Yang mit vielen Hallen, Altären und Skulpturen. Wir passieren eine dreifache Ausfertigung von Laotse, dann eine Göttin, die mit ihren acht Armen wie eine goldene Spinne im Schaukasten sitzt, und schließlich das schwarz-weiße Yin-Yang-Zeichen der taoistischen Weltanschauung, nach der alles und nichts nur weiblich oder männlich ist, sondern alles in allem und im kosmischen Fluss, in dem man sich am besten einfach treiben lässt.

Im Volkspark fließt neben Yin-Yang-Energie auch Tee in Strömen. Das Teehaus Hi-Ming ist ein beliebter Treffpunkt, um bei einem Jasmintee das Weltgeschehen zu bereden, Mahjong-Steine zu legen, von Wahrsagern eine goldene Zukunftsprognose einzuholen oder sich von Ohrputzern mit Gänsefederpuscheln die Gehörgänge reinigen und das schmalzige Ergebnis vor Augen führen zu lassen.

Pilar Aschenbach

Buchungsinformationen
Der Königsteiner Studienreisespezialist Ikarus Tours hat mehrere neue Touren zusammengestellt, die den neuen Direktflug von Air China nach Chengdu nutzen. Informationen unter www.ikarus.com.

 
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