Frankreich

Frankreich: Entdeckung einer Unbekannten

Das Condé-Museum im Wasserschloss von Chantilly beherbergt nach dem Pariser Louvre die bedeutendste Gemäldesammlung Frankreichs. Rechts: Zweifaches Weltkulturerbe: die Kathedrale Notre-Dame in Amiens.

Das Condé-Museum im Wasserschloss von Chantilly beherbergt nach dem Pariser Louvre die bedeutendste Gemäldesammlung Frankreichs. Rechts: Zweifaches Weltkulturerbe: die Kathedrale Notre-Dame in Amiens. Fotos: jm

Die Picardie im Norden ist eine abwechslungsreiche Urlaubsregion

In Chantilly ist Großkampftag: das Pferderennen, der Prix Diane de Hermès, wird ausgetragen. Die Herren stolzieren mit wehenden Rockschößen, Mesdames stöckeln um die beste Aussicht – und um selbst gesehen zu werden. Keine Dame würdigt die Pferde, die sich die Lunge aus dem Hals rennen, eines Blickes. Chantilly ist Ascot im Westentaschenformat. Nicht, was Größe und Bedeutung angeht, da kann man fast schon mithalten, sondern was den Bekanntheitsgrad betrifft. Typisch Picardie: Man hat so viel, aber kaum ein Auswärtiger weiß davon.

Auf Augenhöhe mit Paris
Beispiel Amiens: In der Hauptstadt der Picardie ragt die größte mittel?alterliche Kathedrale der Welt in den Himmel. Notre-Dame ist gleich zweimal Weltkulturerbe: als Musterbeispiel der gotischen Baukunst und als Station des Jakobswegs. Das Gewölbe des Langhauses ist mit 42 Metern doppelt so hoch wie die gleichnamige Kathedrale in Paris. Die Köpfe sind nach hinten geneigt. Die Augen blicken nach oben: 200.000 Raummeter wollen erkundet werden. Knapp 7.000 Figuren an der Außenfassade und im Innern gibt es zu betrachten.

Einen weiteren Vergleich mit dem nahegelegenen Paris muss die Region nicht scheuen: Das Condé-Museum im Wasserschloss von Chantilly besitzt nach dem Louvre die bedeutendste Gemäldesammlung Frankreichs, zu der auch drei Raphaels („Die drei Grazien“) zählen, die man ohne Gedränge – im Gegensatz zur Mona Lisa im Louvre – mit der nötigen Ruhe und Wertschätzung genießen kann.

Doch die Picardie hat auch ihre Eigenheiten. Die Somme-Bucht kann bei Ebbe in drei Stunden durchquert werden. Sie mutet erst flach an, erweist sich aber als kleine Berg- und Tallandschaft. Immer wieder müssen Abflussschneisen überwunden werden. Dann heißt es runterkraxeln, durchs Wasser waten, wieder rauf auf die Ebene – und das mit Gummistiefeln. Dafür darf der Proviant zu Hause bleiben. Denn der wächst im sandigen Boden: Salicorn, eine Algenart, die wie Essiggurken schmeckt und genauso knackig ist.

Auf den Spuren von Jules Verne
Los geht die Wanderung in Crotoy. Jules Verne, der Liebe wegen in Amiens beheimatet, zog sich gerne in das Märchenschloss Les Tourelles zurück, um seine Romane zu schreiben. Und noch einen literarischen Weltstar hat die Picardie hervorgebracht: Alexandre Dumas, geboren im Dorf Villers-Cotterets, verfasste die „Drei Musketiere“ und den „Grafen von Monte Christo“.
Nass, aber glücklich in St. Valery angekommen, wähnt man sich in einem mittelalterlichen gallischen Dorf. Asterix und Obelix (in Plailly gibt es übrigens den Parc d’Astérix) ließ ihr Schöpfer Albert Uderzo zwar nie durch St. Valery poltern. Dafür machte Jeanne d’Arc hier Halt. Gezwungenermaßen, 1430, als Gefangene auf dem Weg nach Rouen. Ganz schön viel Geschichte für so eine unbekannte, aber doch so nahegelegene Region.

Jochen Müssig
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