Deutschland

Deutschland: Turmbläser und Hindu-Priester

Wandschmuck in der Uni- und Fahrradstadt Münster. Foto: jm

Von Hannover ins Ruhrgebiet – eine Fahrt durch die Industriehistorie

Kann ein Knöllchen-Schreiber beliebt sein? Einer, der fürs Ordnungsamt im Außendienst den so genannten ruhenden Verkehr überwacht? In Celle ist das so. Helmut-Dieter Lorchheim heißt der Schrecken der Parksünder und der lieb gewonnene Turmbläser der Stadt. Jeden Tag um 7.30 und 17.15 Uhr ?haben Falschparker gute Chancen, ohne Knöllchen davonzukommen, denn dann besteigt Lorchheim den 75 Meter hohen Turm der Stadtkirche und spielt kirchliche Choräle. Als Deutschland bei der letzten Fußballweltmeisterschaft ins kleine Finale einzog, gab’s ausnahmsweise auch mal die Nationalhymne.

Celle ist eine Art Vorstadt von Hannover: 80.000 Einwohner und 500 historische Fachwerkhäuser, die auf engstem Raum aneinanderkleben. Wie eine Puppenstube wirkt die mittelalterliche Residenzstadt. Aber Celle ist auch Sitz einiger Industriegiganten. Rund 20 Erdölfirmen haben dort ihre Deutschland-Repräsentanz. Historischer Hintergrund: 1858 fand in Wietze vor den Toren von Celle die erste Erdölbohrung der Welt statt.

Trotzdem: Die Landeshauptstadt Niedersachsens ist das Wirtschaftszentrum des Bundeslandes. Heimat eines der weltgrößten Touristikunternehmen, TUI, Expo-Gastgeber 2000, europaweit bedeutende Messestadt mit Cebit und Hannover Messe sowie auch ein Standort süßer Verführung: In der charmanten Jugendstil-Fabrik von Bahlsen aus dem Jahr 1911 wurden einige Millionen der berühmten gezackten Kekse gebacken.

Die A 2 führt von Hannover in Richtung Ruhrgebiet, in das Herz der deutschen Industriekultur. Hinter dem Teutoburger Wald wartet ein weiterer Riese der deutschen Wirtschaft, der Medienkonzern Bertelsmann in Gütersloh. Im nahen Hamm steht dagegen der größte Hindu-Tempel Kontinentaleuropas. Wie der dorthin kam? „Es war Gottes Wille“, sagt Priester Sri Paskaran. Auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka führte ihn eine Odyssee über Moskau und Berlin Richtung Paris. „Während der Zugfahrt hatte ich plötzlich großen Hunger und ich stieg einfach aus“, erzählt der Mann mit dem langen Bart. „So kam ich nach Hamm. Und ich blieb.“

In Münster gibt es keinen Hindu-Tempel, aber 70 Kirchen, 700 Kneipen, eine Denk- und eine Aufzugfabrik. Die Universität, mit Hauptsitz im Schloss, und ihre 50.000 Studenten bestimmen das Bild der Stadt.

Keine Autostunde weiter kocht der Pott: in Essen, einer der größten Städte des Ruhrgebiets, Keimzelle der deutschen Schwerindustrie mit Namen wie Krupp und Thyssen sowie seit 2001 Unesco-Welterbe durch die Zeche Zollverein. Seit 10. Januar erzählt das Ruhr Museum im Schacht XII des Zollvereins die Geschichte einer der größten Industrieregionen der Welt, die unter dem Namen RUHR.2010 nun Kulturhauptstadt Europas ist.
Jochen Müssig
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