Frankreich

Marseille: Komm, ich zeig’ dir meine Stadt

Gefragter Ankerplatz: der alte Hafen von Marseille. Foto: cd

Wenn sich Einheimische als Touristen-Guides betätigen

Gérard Torossian hat sein Leben lang als Metzger gearbeitet und den Beruf, den die Eltern ihn hatten lernen lassen, von ganzem Herzen gehasst. Jetzt ist er endlich pensioniert und hat eine neue Beschäftigung gefunden, die er leidenschaftlich liebt. Gérard ist nämlich „Greeter“. Er zeigt Reisenden kostenlos seine Stadt. Einfach so, aus purer Passion. Am liebsten würde er einem auch noch die Drinks spendieren. Was er an Marseille am meisten liebt? Die Sonne, diese zuverlässige Leuchtkugel des Südens, die selbst dann strahlt, wenn der Mistral pfeift.

Wir sitzen beim Pastis in der Bar de la Marine, wo sich seit Pagnols Zeiten die Skipper treffen, um von den sieben Weltmeeren zu erzählen. Dass Marcel Pagnol hier seine Romane niederschrieb, ist gern zitierte Legende. Aber das tut nichts zur Sache. Ebenso wenig wie der Umstand, dass der kürzeste Weg über das Wasser die kleine kostenlose Hafenfähre ist. Also queren wir mal eben gratis den Vieux Port. Zwanzig Jahre muss warten, wer hier einen Liegeplatz für seine Yacht ergattern will, so unser Greeter.

Man muss in Marseille übrigens keine teure Fischsuppe bestellen, meint Gérard, der armenische Wurzeln hat: Die ganze Stadt ist eine Bouillabaisse, ein buntes Durcheinander der Kulturen. Im Vorbeigehen zeigt er uns seinen Lieblingsvietnamesen. Dann steigen wir die Treppen zum Fischerviertel Panier hinauf.

Seit vergangenem Herbst gibt es in der Mittelmeer-Metropole und ihrer Umgebung die „Marseille Provence Greeters“. Die ehrenamtlichen Fremdenführer stellen sich ganz auf ihre Gäste ein. „Menschen jeden Alters machen bei den Greeters mit“, sagt Rabiha Benaissa vom Comité Regional de Tourisme, die das Konzept für Stadt und Region mit entwickelte. Wenn der Fremde etwa jemanden sucht, der ihn mit der örtlichen Musikszene bekannt macht und in die hippsten Clubs bringt: Kein Problem, auch dafür findet sich ein Greeters-Guide.

Greeters, inzwischen international vernetzt, waren erstmals 1992 in New York mit ihrem „Welcome Visitor“-Programm unterwegs. Gründerin Lynn Brooks wollte Touristen ermöglichen, den „Big Apple“ auf ganz persönliche Weise zu erleben. Inzwischen gibt es Greeters außerhalb der USA auch in Argentinien, Australien, Kanada, England, den Niederlanden und in Frankreich, das mittlerweile mehr Greeters-Städte hat als jedes andere Land der Welt. Die freundlichen Fremdenführer aus Passion finden sich in Paris, Lyon, Marseille, Nantes und in der Region Pas-de-Calais.

Gérard ist zu den Greeters gekommen, weil er auf einer langen Asien-Tour immer wieder von Einheimischen unter die Fittiche genommen wurde wie ein Familienmitglied. „Man will so viel Gastfreundschaft einfach weitergeben“, erklärt er, während wir durch die Gassen schlendern und an jeder Ecke neue Anekdoten hören. Seine persönliche Lieblingstour? Die Wanderung entlang der Calanques-Felsküste zwischen Marseille und Cassis. Wundervolle Natur – einen Katzensprung von der Metropole entfernt. Informationen zum Greeters-Programm gibt es unter www.marseilleprovencegreeters.com und unter www.globalgreeternetwork.info.
Claudia Diemar
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