Frankreich

La Reunion: Ganz großes Kino

Spektakuläre Landschaft: La Reunion ist für Wanderurlauber eine Offenbarung. Foto: rie

Ein Naturabenteuer an der Grenze zur Reizüberflutung

Das gibt’s doch nicht! Schon wieder ein Jogger, der uns mit einem flüchtigen „Bonjour“ überholt. Scheinbar mühelos flitzen sportive Einheimische auf einem sehr steilen und steinigen Pfad dem 2.100 Meter hohen Col du Taibit entgegen, jener Passhöhe, die wir schon längst erreicht haben wollten. Aber zwölf Kilo Wandergepäck pro Rücken halten uns auf dem Boden der Tatsachen.

Wir sind unterwegs auf La Reunion, einem Eiland im Indischen Ozean, auf dem Dauerlauf der extremen Variante ein Volkssport zu sein scheint. Touristen ist es eher als Outdoor- und Wanderparadies bekannt. Mit gutem Recht: Nicht weniger als 1.000 Kilometer lang ist das Wegenetz auf der zu Frankreich gehörenden Tropeninsel, die gerade mal so groß ist wie das Saarland. Wer sie per pedes erkundet, dem blühen landschaftliche Superlative an der Grenze zur Reizüberflutung. Wo sonst wechseln sich dichter Urwald, tiefgrüne Canyons mit imposanten Wasserfällen, sanfte Wiesen und karge Lavawüsten in solch rascher Folge ab?

Wie wohl den meisten Reunion-Novizen ist uns ein Klassiker nahegelegt worden: ein mehrtägiger Rundkurs durch die drei „Cirques“, dem grünen Herz im Westen der Insel. Wie Kleeblätter gruppieren sich diese Talkessel um den Piton des Neiges, ein längst erloschener Vulkan und mit über 3.000 Metern höchster Berg der Insel. Seinen Gipfel zum Sonnenaufgang zu bezwingen, ist schließlich  die Königsdisziplin dieser Tour.

Starten kann man das Wandervergnügen wunderbar im Cirque de Salazie, genauer in Hell-Bourg. Dieses schmucke Dorf bezaubert nicht nur mit viel kreolischem Charme, sondern ist auch idealer Ausgangspunkt für Trekking-Urlauber, die in die anderen Täler und höher gelegenen Regenwälder aufbrechen. Oder für jene, die sich erst einmal warmlaufen wollen.

Denn die Drei-Täler-Tour ist, wie viele Wanderrouten auf dieser wild zerklüfteten Insel, nicht ohne. So wie kernige Auf- und Abstiege mit unzähligen Treppenstufen oder mit Baumwurzeln übersäte Waldwege an der Kondition zehren, lassen enge Pfade an Berghängen und tiefe Schluchten Trittsicherheit notwendig und Wanderstöcke mindestens ratsam erscheinen.

Für die Mühen zeigt sich die Natur aber mehr als erkenntlich: mit grandiosen Aussichten, einer einmaligen Pflanzenwelt und – wenn nicht gerade Hochsaison ist – wirklicher Einsamkeit. Für Letztere sorgt vor allem der Cirque de Mafate, in dem es keine Straßen gibt und nur 800 Menschen in kleinen Bergsiedlungen leben. Sie verdienen ihr Geld mit Wanderern wie uns, die abends in die zwar einfachen, aber urigen Hütten einkehren und das auf Holzfeuer gekochte Nationalgericht Cari serviert bekommen.

Ungleich wuseliger geht es am Piton de la Fournaise zu, dem äußerst aktiven Vulkan am anderen Ende Reunions. Wenn dieser nicht gerade Feuer und Asche spuckt, sind seine bizarr-schroffen Lavafelder zwischen kleinen und großen Vulkanschloten bereits im Morgennebel von vielen Wandervögeln bevölkert. Unsere leichtfüßigen Jogger bekommen wir hier allerdings nicht mehr zu sehen.
Thomas Riebesehl
Anzeige