Deutschland

Lübeck: Marzipan und Hinterhofidylle

Hoch im Norden, hoch auf dem Turm: Blick von St. Petri über die Dächer und Gassen der historischen Altstadt von Lübeck.

In der Hansestadt leben Geschichte und Kultur eng beieinander

Anke Magdanz führt im Kostüm aus der Buddenbrookzeit. Fotos: gsg, LTM/Patrick de Jourdan

Es sind kleine Irrgärten inmitten der lebhaften Altstadt. Von den Straßen führen enge Gässchen in lang gestreckte Hinterhöfe, in denen sich kleine, schmucke Häuschen aneinander kuscheln. Vor den nur lukengroßen Festern blühen Blumen und Stauden. Jedes Heim ist gerade mal so groß, dass ein Single genügend Wohnraum darin findet. Dafür sind die Bleiben in City-Lage äußerst preiswert, den Begriff Mietwucher kennt man hier nur vom Hörensagen.

Die idyllischen Altstadthöfe Lübecks haben ihre eigene Geschichte. Handwerker und Arbeiter bevölkerten die Hansestadt im 12. Jahrhundert. Weil sie sich nicht außerhalb der Stadtmauern niederlassen durften, kam es im Stadtkern zu großer Wohnungsnot. Und weil Baugrund knapp war, sorgten begüterte Bürger, eine Stiftung und Immobilienbesitzer dafür, dass Gärten bebaut und angrenzende Viehställe zu ein- und zweigeschossige Buden ausgebaut wurden.

Zu den Behausungen gelangte man durch schmale, tunnelartige Gänge, die durch die Vorderhäuser gebrochen wurden. Im 17. Jahrhundert soll es 180 solcher Gänge und Höfe gegeben haben, erklärt Stadtführerin Anke Magdanz, die uns im Kostüm aus der Buddenbrookzeit durch das winkelige Gassenwirrwarr begleitet.

Während der Kriegsjahre und danach dämmerten die Notquartiere dem Verfall entgegen. Erst ab 1970 wurde kräftig restauriert. Heute leben hier viele Lübecker als Mieter und sind stolz darauf. So wie Doris Schütz, die vor knapp 20 Jahren in einem Hofhaus ihre Bleibe gefunden hat. Sie stört nur gelegentlich Touristen, die auf der Suche nach historischer Vergangenheit unversehens durchs Fenster in ihr Wohnzimmer luken. Denn Urlauber wissen das Viertel zu schätzen. Für rund 80 Euro pro Tag lassen sich die pittoresken Minihäuser auch als Ferienunterkünfte mieten.

Lübeck, die „Königin der Hanse“, hat natürlich auch anderes zu bieten: das Holstentor, die vielen Kirchen und die stolzen backsteinroten Kaufmannshäuser. In der Stadt leben Geschichte und Kultur dicht beieinander. Das Buddenbrookhaus zum Beispiel, in dem Thomas Mann zu seinen literarischen Erfolgen inspiriert wurde. Die Kunsthalle, die auf dem Gelände der ehemaligen Klosterkirche St. Annen entstand und mit hochkarätigen Ausstellungen Besucher aus aller Welt anlockt oder das mittelalterliche Palais Rantzgau, das heute – aufwändig restauriert – dem Schleswig-Holstein-Musikfestival als Heimstatt dient.

Gern vorzeigen mag die Hansestadt auch seine drei Nobelpreisträger: den Wahlbürger Günter Grass, an den die Skulptur „Butt im Griff“ erinnert, Willy Brandt, dem ein vornehmes Patrizierhaus als Bildungs- und Gedenkstätte gewidmet ist, und natürlich Thomas Mann, der als Skulptur vor dem Buddenbrookhaus seine Aufwartung macht.

Ein Genusserlebnis der besonderen Art sollte sich kein Lübeck-Besucher entgehen lassen. Die süße Belohnung wartet im traditionsreichen Café Niederegger gleich gegenüber der Rathaustreppe. Dort kredenzen angehende Patissiers zum Cappuccino stilvoll das Original – eine Nusstorte mit echtem Marzipan, natürlich traditionell aus rezepturgetreuer Herstellung.
Günter von Saint-George
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