Spanien

Windmühlen im Kopf

Die Quijote-Route verläuft kreuz und quer durch Kastilien-La Mancha.

Von Hirngespinsten, karger Schönheit und einer Olivenölprobe: Auf den Spuren Don Quijotes durch die zentralspanische Region Kastilien-La Mancha

Gespielt: Don Quijote und sein Knappe Sancho Panza ...

... bei den Windmühlen von Consuegra.

An diesem feuchtkalten Morgen im November hängt bleiche Nebelsuppe über der Ebene von Kastilien-La Mancha. Wie eine Gespensterschar mit dürren Armen tauchen auf einer Anhöhe die Windmühlen von Consuegra auf - zwölf weißgetünchte Zylinder mit Spitzdach und verwitterten Flügeln.

Auch anderen Reisenden spielte die Fantasie an diesem Ort schon Streiche. "Flieht nicht, ihr feigen, elenden Geschöpfe, ein einzelner Rittersmann kündigt euch Fehde an", rief dereinst Don Quijote, als er die Windmühlen erblickte - und sprengte auf seinem Klepper Rosinante mit lautem Geschrei und angelegter Lanze auf die mutmaßlichen Feinde los. Dem Möchtegern-Helden erschienen die Windmühlen als ungeschlachte Riesen mit meilenlangen, fuchtelnden Armen, gegen die er seinen berühmten Kampf führte.

Die Romanfigur aus Miguel de Cervantes "Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha" ist heute das touristische Zugpferd der Region im Herzen Spaniens. Eine gut beschilderte, mehr als 2.000 Kilometer lange "Ruta de Don Quijote" führt in zehn Teilstrecken zu den Schauplätzen der zweibändigen Geschichte aus dem frühen 17. Jahrhundert - oder vielmehr zu den Inspirationsquellen, denn Orte nennt der Autor nur wenige.

Zu den Stationen der Route zählen die hübsch restaurierten Windmühlen von Consuegra aus dem 16. Jahrhundert, das Museo del Quijote in Ciudad Real und die Höhle von Montesinos im Unesco-Naturpark Lagunas de Ruidera. In der Ortschaft El Toboso, die sich auf die Vermarktung der imaginären Geliebten des "Ritters von der traurigen Gestalt" spezialisiert hat, steht das Casa de Dulcinea.

Gerafft geht Cervantes Parodie auf Dreigroschenschund und Ritterromane etwa so: Irgendwo in einem Dorf der Mancha startet die Odyssee eines Landjunkers, der zu viel in den Ritterromanen seiner Zeit geschmökert hat, sich daraufhin selbst zum Ritter berufen fühlt, eine rostzerfressene Rüstung aus dem Nachlass seiner Vorfahren kramt, die Mähre Rosinante sattelt, den dickbauchigen Stallmeister Sancho Panza zu seinem Schildknappen ernennt, um in die weite Welt hinauszuziehen: für Frieden, Gerechtigkeit und Liebe. Schon bald gelangt das ungleiche Gespann - der schlaksige, idealistisch-versponnene Quijote auf Rosinante und der kugelige, bauernschlaue, bodenständige Sancho mit dem Esel Rucio - zu den Windmühlen von Consuegra.

"Meiner Treu! Man musste selber Windmühlen im Kopf haben, wenn man es nicht sehen wollte", kommentiert Sancho Panza den aussichtslosen Kampf seines Herrn. Die Stimme tönt aus Lautsprechern von den Felsen. Für Besucher wird auf Bestellung vor den Kulissen der Windmühlen das achte Romankapitel mit Geräuschen und Schauspielern inszeniert - das Windmühlen-Abenteuer. Doch die Einwände Sanchos sind vergeblich: "Ich denke so, und so ist es", antwortet Don Quijote.

Vielleicht fand die Auseinandersetzung auch woanders statt. Bis heute kabbeln sich die Dörfer der Mancha um den Ort des Geschehens. Dabei hat die Gegend weit mehr zu bieten als die literarische Figur und die Mühlen, die in den Souvenirläden aus Holz und Blei, als Postkarten, Lesezeichen und Kühlschrankmagneten erhältlich sind. Kastilien-La Mancha stellt auch knackige Oliven und hochwertigen Safran her, feinen Manchego-Käse, würzige Chorizo-Wurst und vorzüglichen Wein. Neun Prozent der europäischen Weinanbaufläche entfallen auf die zentralspanische Region.

Im Restaurant "El Alfar" in Consuegra kommen alle diese Köstlichkeiten auf den Tisch. Der Innenhof bietet Reste einer Töpferei auf, Öfen im andalusischen und römischen Baustil, ehemals Produktionsstätte für meterhohe Amphoren zur Aufbewahrung von Wein und Öl. "Kochen für Touristen ist lukrativer als Keramik", begründet Besitzer Antonio Romero Dominguez die Stilllegung der Anlage. Don Quijote? Hat er vor langer Zeit in der Schule gelesen, Pflichtlektüre, danach nicht wieder. Dennoch weiß er, dass sich ohne den weltbekannten Werbeträger nicht viele Touristen hierher verirren würden: in diese ockerbraune Einöde, in der im Sommer die Hitze flirrt. Olivenbäume, Rebenreihen - und viel knochentrockene Erde.

Restaurants, Weingüter, Gästehäuser und Sehenswürdigkeiten - alle wollen von der Strahlkraft des Cervantes-Epos profitieren. Schließlich behaupten die Urheber der 2005 eröffneten Quijote-Strecke den Superlativ der "längsten ökotouristischen Route Europas". Ländliche Unterkünfte (Casa Rurals) buhlen verstärkt um Gäste, und immer mehr Produzenten und Kunsthandwerker öffnen ihre Pforten für Fremde: Weingüter, Olivenölhersteller, Töpfereien.

Bei Madridejos hat eine Combo von vier Schwestern ein Gebäude aus dem 17. Jahrhundert erworben und zum Casa Rural La Alameda umgestaltet. Lola, die Lehrerin, Paula, früher Anwältin, Amelia und Almudena, beide Designerinnen, geben ihr Herzblut in das Projekt: ein Ort der Ruhe und familiären Gastfreundschaft, ein stilvolles und heimeliges Feriendomizil mit offenem Kamin. Für Gruppen wird auf Wunsch ein besonderes Programm organisiert.

Heute ist das Traditionsunternehmen Garcia de la Cruz zu Gast, seit 1872 stellt es Olivenöl her und lädt zu einer Verkostung der goldgelben Flüssigkeit ein. Dunkel muss das Glas sein, damit die Farbe nicht zu erkennen ist - für eine neutrale Bewertung, erklärt der Testleiter Eusebio Garcia. Abgedeckt muss das Glas sein, um die Aromen zu bündeln. Dann mit den Händen durch Reiben auf 18 bis 20 Grad erwärmen und schwenken, schließlich den Deckel öffnen, intensiv schnuppern - und einen kleinen Schluck nehmen. Spätestens hier meldet sich eine kleine Windmühle im Kopf zu Wort: "Igitt, Öl pur, wie ekelhaft ist das denn?!"

Der Testleiter hat das nicht gehört und fährt unbeirrt fort: Öl auf die Zunge nehmen, an den Gaumen spielen, Luft einziehen, erst dann schlucken - ungefähr so lautet die Anweisung. Die Frage danach: "Hat es nach Mandeln, Apfel, Tomate oder frischen Kräutern geschmeckt?" Ehrlich gesagt: Keine Ahnung. Das Öl schmeckt nach Öl, aber gut und geschmeidig. Nebenbei wird die Deklaration "Virgin Extra" aufgeklärt, die im Supermarkt auf den teuersten Essenzen prangt: Bei dieser Qualitätsklasse dürfen zwischen Ernte und Pressung der Oliven nicht mehr als acht Stunden vergehen.

Danach wird das "rote Gold" der Mancha präsentiert - bei einem Safran-Workshop. Ein Kilo kostet etwa 6.000 Euro, erklärt die Dame aus dem Safranmuseum bei Consuegra. Der Grund für den stolzen Preis wird bald offenkundig. Safran, das sind drei rote Fäden, die es aus lilafarbenen Krokusblüten zu pulen gilt, zu ernten von Mitte bis Ende Oktober, am besten am frühen Morgen. Eine kleine Windmühle im Kopf beginnt zu rotieren und behauptet: "Diese Friemelei ist gewiss eine Strapaze für die Geduld!"

Tatsächlich ist es aber gar nicht so schwer und macht sogar Spaß: Leicht den Stängel aufziehen, die Blütenblätter um den Zeigefinger klappen und sachte an den Fäden zupfen - voila!" Im nächsten Schritt wird das kostbare Gut getrocknet und verliert dabei bis zu 70 Prozent an Gewicht! Immerhin ist das Gewürz ergiebig: "Ein Gramm reicht für mehrere Paella-Pfannen", sagt die Museumsfrau. Die Verwendung von Safran ist vielfältig: Er "macht den Kuchen gel", wie ein Kinderlied besagt, er wird zum Kochen verwendet, zum Färben von Kleidung und Haaren - und als Allheilmittel gegen Asthma, Erkältungen, Schlafstörungen, Verdauungsprobleme.

Auf der Rückfahrt ziehen noch einmal die Windmühlen von Consuegra vorbei, diesmal unter blauem Himmel mit Wolkenflocken, überzogen vom Goldschimmer der Abendsonne - Harmlosigkeit in ihrer reinsten Form. Über die Lesart des Cervantes-Geniestreichs besteht Uneinigkeit, aber eines ist in diesem Moment so klar wie die Sicht: Hindernisse sind oftmals nur ein Hirngespinst. Don Quijote war ein Meister im Erfinden von Gefahren, um an ihnen mit Ruhm und Ehre zu bestehen. Da werden blutige Kämpfe mit Rotweinschläuchen bestritten und mutieren die unbescholtenen Schafe der Mancha zu Feindesheeren ...

Aber auch ohne diese närrische Dramatik ist die Region eine Reise wert: wegen ihrer Leckereien, der feisten Burgen und der kargen Schönheit der Landschaft - eine perfekte Leinwand für das eigene Roadmovie im Kopfkino.

 

Infos im Internet

Ruta de Don Quijote: www.quijote.es 
Kastilien-La Mancha: www.turismocastillalamancha.com 
Casa Rural La Alameda: www.casaruralalameda.com 
Garcia de la Cruz: www.garciadelacruz.com

Pilar Aschenbach
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