Portugal

Altäre der Natur

Der Lagoa Verde von Sete Cidades.

Auf der Azoreninsel Sao Miguel kommen Mutter-Erde-Anbeter in ein grünes Himmelreich, aber auch in Teufels Küche

Beschaulichkeit in Schwarz-Weiß: die Hauptstadt Ponta Delgada.

Tierisch grün: der Parque Terra Nostra.

Höllisches Spektakel: die heißen Quellen von Furnas. Fotos: pa, FVA Azoren (1)

Es waren einmal eine blauäugige Prinzessin und ein grünäugiger Hirte, deren Herzen füreinander entflammten. Doch die Liebe durfte nicht sein, denn die Zukunft der Prinzessin war bereits verplant. Aus Kummer vergossen die beiden bittere Tränensturzbäche, so dass sich zwei Seen bildeten: ein grün schillerndes Gewässer und ein größeres blaues, weil Mädchen meistens mehr weinen.

Inspirationsquelle dieser Legende ist der Kratersee von Sete Cidades, ein opulentes Schauspiel der Natur und beliebtes Ausflugsziel auf der Azoreninsel Sao Miguel. Flankiert von steilen Kraterwänden und überdacht von einem Himmel voller Wetterdramatik schmiegen sich die Seen der Liebenden aneinander, zerfließen ineinander, auf ewig vereint. Dort, wo sich die Gewässer küssen, spannt sich eine Brücke über die Ufer. Die Straße führt hinauf zum Aussichtspunkt Vista do Rei, von dem sich ein königlicher Blick auf die Szene bietet.

An diesem Tag im Spätherbst ist die Schattierung der Seen allerdings ungefähr so sensationell wie die Fellfarbe einer Maus. Petrus hat sein gesamtes Wolkenheer in den Westen von Sao Miguel befohlen, und nun tobt ein derbes Gerangel zwischen finsteren Geschwadern und der Sonne, dass der Weltuntergang nicht mehr allzu fern scheint. Denn das berühmte Azorenhoch gilt zwar als zuverlässiger Schönwetterbringer für Europa, nicht aber für den Archipel selbst, wie man alsbald am eigenen nassen Leibe erfährt. Beständig ist hier nur der Wandel, binnen Minuten können elefantöse Wolken mit blankem Blau wechseln, tristes Grau mit versöhnlichen Regenbögen und dichte Regenschauer mit scheinheiligem Sonnenschein - gerade so, als wäre nichts gewesen.

Das actionreiche Wetterkino, das absolut keinem Drehbuch und erst recht keinen meteorologischen Gesetzmäßigkeiten zu folgen scheint, hängt mit der ungeschützten Lage der Azoren im Atlantik zusammen. Portugal ist 1.300 Kilometer entfernt, bis zum nordamerikanischen Festland im Westen sind es 2.800 Kilometer. Die Temperaturen schwanken dagegen wenig - zwischen 15 Grad im Winter und 26 Grad im Sommer. Der Atlantik mäßigt die Hitze, der Golfstrom die Kälte.

Sao Miguel ist mit einer Länge von 64 Kilometern das Oberhaupt der neunköpfigen portugiesischen Inselfamilie, die 240.000 Einwohner zählt und mit einer Landfläche von 2.300 Quadratkilometern etwas kleiner als das Saarland ist. Etwa 600 Kilometer liegen zwischen dem östlichsten und dem westlichsten Eiland. Der Name Ilhas dos Acores geht vermutlich auf einen Irrtum des portugiesischen Seefahrers Diogo de Silves zurück, der die Inseln 1427 entdeckte, Bussarde sichtete und für Habichte (Acores) hielt.

Das wilde Wettergebräu ist derweil nur eine Seite der Naturgewaltenmedaille. Auch unter der Oberfläche rumort es kräftig, als plage sich Mutter Erde mit Verdauungsproblemen. Aus Geysiren und Fumarolen entladen sich Überdruck und übelriechende Schwefeldämpfe - ein kleiner Gruß von der vulkanischen Entstehung und Tätigkeit der Landkleckse, die nur Spitzen eines gigantischen Meeresgebirges und Schnittstelle dreier Kontinentalplatten sind: der amerikanischen, eurasischen und afrikanischen. Während Santa Maria als azorische Inseloma schon rund acht Millionen Jahre auf dem Buckel hat, ist Pico erst vor 300.000 Jahren aus den Fluten aufgetaucht und nach erdgeschichtlicher Zeitrechnung noch ein junger Hüpfer. Man muss ihn aber ernst nehmen: Die Insel besitzt mit 2.351 Metern nicht nur den höchsten Punkt der Azoren, sondern auch von Portugal.

Sechs Vulkane haben die Insel Sao Miguel geschaffen - und ein Himmelreich für Naturanbeter. Stille Kraterseen verlocken zum Innehalten und Hortensien entfalten ein weißrosablaues Blütenmeer. Schroffe Steilküsten künden von Aufbruch und Wiederkehr, verwunschen wirkende Gärten verführen zum Schwelgen in Artenvielfalt. Streifzüge durch dschungelartige Wälder und Bäder in heißen Naturschwimmbecken schenken das Gefühl von Neugeborensein. Zu den schönsten Naturaltären der Insel zählt der wildromantische Naturpark Caldeira Velha mit Farnen so groß wie Palmen, die einen seidig schimmernden Baldachin über dampfende Quellen und rauschende Wasserfälle spannen.

Allein die Kühe erwecken so gar keinen heiligen Eindruck. Statt über die weiten, neongrünen Wiesen zu ziehen, fristen sie angepflockt in engem Radius ihr Dasein als Milch- und Fleischlieferanten. Fischfang, Landwirtschaft, Tourismus und die Viehzucht sind heute die wichtigsten Wirtschaftsträger der Azoren. Auf Sao Miguel gibt es mehr als doppelt so viele Rindviecher wie Menschen.

Der Fremdenverkehr wächst stetig, aber bedächtig. Denn obwohl die Insel über schwarze Sandstrände verfügt, ist sie nicht als Ziel für die Massen positioniert. Rund 350.000 Touristen jährlich weist die Statistik aus, die meisten kommen vom portugiesischen Festland, 22.000 aus Deutschland. Vielmehr wenden sich die Tourismuswerber an Aktivurlauber, Individualisten, Ruhesuchende und Botanik-Fans. Landhäuser und ehemalige Windmühlen wurden zu Feriendomizilen umgestaltet und herrschaftliche Anwesen zu Hotels. Kreuz und quer über die Insel erstreckt sich ein 100 Kilometer langes Wanderwegenetz, außerdem werden Reitausflüge, Mountainbiking, Canyoning und Jeepsafaris angeboten.

Dem bunten Treiben im Reich von Neptun widmen sich Delfin- und Walbeobachtungstouren. Mehr als 20 Arten des größten Säugetieres tummeln sich im Meer um die Azoren, darunter Schwertwale, Buckelwale und sogar der Fleischberg aller Fleischberge, der Blauwal. Oft müssen die Exkursionen jedoch abgesagt werden, weil Petrus mal wieder ein "Wolken-jagen-Sonne"-Stück inszeniert und als Special Effect den Atlantik in Aufruhr versetzt.

Seit 1984 ist der Walfang auf den Azoren verboten. Einst schuf er Verbindungen nach Nordamerika, wohin viele Azorer in mehreren Wellen auswanderten, einmal bedingt durch das Wegbrechen eines saftigen Geschäfts: dem Handel mit Orangen. Dieser sorgte zu Beginn des 19. Jahrhunderts für wirtschaftliche Blüte, die Früchte galten als hochexotisch und waren heiß begehrt. Die meisten Kirchen sind in dieser Zeit entstanden, prunkvoll dekoriert mit Goldverzierungen. Einige Jahrzehnte später wurden die Orangenbäume von einem Pilz befallen, die Einnahmequelle versiegte.

Geblieben sind stattliche Residenzen und üppige Gärten, mit denen die Orangenbarone damals ihre Eitelkeit befriedigten. Ein ausgefallen prächtiges Exemplar ist der Parque Terra Nostra in Furnas, über den sich gerade eine kräftige Himmelsdusche ergossen hat. Frisch gewaschen glänzen Sicheltannen, riesige Araukarien, Farne und der Pflanzenpelz einer Horde tierischer Dekorationselemente in einer Landschaft aus Kamelien, Magnolien und Azaleen, Grotten, Teichen und dem angeblich größten Thermalschwimmbecken der Welt, ganzjährig über 30 Grad warm.

In Furnas werden das mineralhaltige Wasser und der Erdschlamm zu medizinischen Zwecken eingesetzt. Statt in einen Kurort scheint man aber eher in des Teufels Küche geraten zu sein - oder zumindest in deren Vorhof. Aus 22 Quellen wabern Dämpfe, es gluckert, blubbert und zischt, unerträglich stinkende Schwefelschwaden trüben die Sinne. Und plötzlich erscheint der Brodem wie der schlechte Odem des Höllenfürsten, nach dem hier auch eine Felsspalte heißt, die just in diesem Moment besonders kräftig und fauchend ausspuckt - ein Vorbote des Leibhaftigen höchstpersönlich?

Die Einheimischen sehen das diabolische Spektakel ganz pragmatisch und kochen am nahen Kratersee mit der Erdhitze. In zwei Meter tiefen Kammern versenken sie Pötte mit der lokalen Spezialität "Cozido", ein Eintopfgericht aus Fleisch und Gemüse, buddeln die Löcher zu und nach sechs Stunden wieder auf - fertig ist das Essen, ganz ohne Strom gegart.

Dass die Azoren auf Vulkane gebaut sind, daran erinnert auch Ponta Delgada, erst seit der Zerstörung von Vila Franca do Campo durch ein Erdbeben die Hauptstadt von Sao Miguel. Mehr als 60.000 Menschen leben hier, fast die Hälfte der Inselbevölkerung. Hektisch ist trotzdem nichts und das Nachtleben extrem überschaubar. Wer sich nach angesagten Locations erkundigt, strandet in Kneipen so aufregend wie "Erika's Eck" in einer deutschen Kleinstadt. Hübsch ist aber der inseltypische Barockstil mit weiß gekalkten Wänden und Zierwerk aus schwarzem Basalt, der das Stadtbild dominiert. Das Kopfsteinpflaster auf den Plätzen und in den schnuckeligen Straßen korrespondiert mit schmuckem Schwarz-Weiß-Muster. Am Hafen verliert sich für eine kurze Strecke der provinzielle Charakter: Schnittige Yachten und große Kreuzfahrtschiffe machen dort auf Atlantiküberquerungen fest und verströmen den Geist der großen weiten Welt.

Obwohl die Azoren, diese Tüpfelchen im endlosen Atlantik, geostrategisch stets interessant waren - für Schiffe zum Aufladen von Proviant, als Zwischenstation bei der Verlegung des Transatlantik-Kabels und als Tankstopp für Flüge über das Weltmeer -, haben sie sich kulturhistorisch weitgehend unbeeinflusst entwickelt und eigene Architekturspielarten hervorgebracht. Häufig zu sehen sind Symbole der Seefahrt, ähnlich dem manuelinischen Stil auf dem portugiesischen Festland.

Wer Inselprodukte erstehen will, landet schnell beim zuckersüßen Ananaslikör. Eine Plantage am Stadtrand bietet Verkostungen und einen Blick in die Gewächshäuser an. Der fruchtbare Boden macht's möglich, dass die gelbe Südfrucht auf der Atlantikinsel gedeiht - und nicht nur die. Sao Miguel hat die einzige Teeplantage Europas, Cha Gorreana an der Nordküste. Bis zu 40 Tonnen grüner und schwarzer Tee werden dort jährlich produziert - überwiegend in Handarbeit kultiviert, geerntet und verarbeitet.

In Sete Cidades hat sich inzwischen die Sonne durchgesetzt. Tiefblau und tannengrün leuchten jetzt die Tränenkraterseen. Weniger verträumte Leute haben freilich eine andere Erklärung für die Farben: Im blauen Teil des Gewässers spiegelt sich der Himmel, im grünen der dicht mit Bäumen bestandene Kraterrand. Die Schönheit Sao Miguels ist dennoch märchenhaft.

Pilar Aschenbach

Reisetipps

Flug: Sata Internacional fliegt von Frankfurt direkt nach Ponta Delgada. Im April wird zudem ein Dienst ab München via Porto aufgenommen (www.sata.pt).
Unterkunft/Buchung: Beim Portugal-Spezialisten Olimar sind neuerdings auch Ferienhäuser auf den Azoren buchbar. Außerdem bietet der Veranstalter eine große Auswahl an Rundreisen an (www.olimar.de).
Klima: Die beste Reisezeit für Blumenliebhaber sind der Frühling und Sommer. Für Aktivurlaub ist auch der Herbst zu empfehlen.
Aktivitäten: Die Agentur Picos de Aventura am Hafen von Ponta Delgada bietet unter anderem Delfin- und Walbeobachtungen, Canyoning, Mountainbiking und Jeepsafaris an, www.picosdeaventura.com 
Wanderwege:www.trails-azores.com 
Reiten:www.quintadasraiadas.com 
Teeplantage:www.gorreana.de 
Allgemeine Infos:www.visit-azoren.de

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