Frankreich

Frühlingsluft und fromme Bräuche

Die Karfreitagsprozession in Bonifacio, dem südlichsten Ort von Korsika. Fotos: cd

Die Osterzeit wird auf Korsika mit Inbrunst gefeiert

Bastia, die zweitgrößte Stadt Korsikas, döst in der Frühlingssonne. Die Judasbäume stehen in voller Blüte, schäumen in grellem Rosaviolett als Zeichen frommer Passion. Bastia ist nicht die Hauptstadt, aber das Zentrum von Handel und Wandel der Insel. Doch kurz vor Ostern setzt die Umtriebigkeit aus. Bastia wird still, als wolle es in sich gehen.

In Bonifacio, am anderen Ende der Insel, passiert das Gegenteil. Den Winter über liegt der windumtoste Ort auf dem Kalkfelsen in agonischem Schlaf. Nur wenige Einwohner harren in den alten Häusern aus, die auf der Felskante balancieren und nur deshalb nicht ins Meer zu stürzen scheinen, weil sie sich am grandiosen Panaroma über die vorgelagerten Inseln bis zur sardischen Küste aufrichten.

Am Gründonnerstag ist Bonifacios Winterschlaf beendet. Die Boutiquen und Korallenläden öffnen ihre Türen. Die Besitzer putzen Regale, wischen den Boden und stellen die Postkartenständer heraus. Die Restaurants haben wieder geöffnet. Stärkung ist nötig, denn der Abend wird lang. Wenn die Dämmerung gefallen ist, beginnen die Prozessionen der fünf Bruderschaften, die in Büßergewändern der Passion Christi gedenken und schwere hölzerne Figurengruppen auf ihren Schultern tragen.

Jede Confrerie zieht mit mehreren Dutzend Mitgliedern durch die Gassen. Als sanft-beruhigendes Lamento ertönt der Wechselgesang mit der Bitte um göttliche Verzeihung zwischen Vorsänger und Gefolge: Perdono mio Dio, mio Dio perdono,

Am Karfreitagmorgen sind die Bruderschaften erneut unterwegs von einem Gotteshaus zum nächsten. Mit vollem Bariton intoniert der Vorsänger die Litanei von Heiligennamen, Bruderschaftler und Gläubige fallen nach jeder Anrufung mit kollektivem "Ora pro nobis" ein. Gegen Mittag läuft das erste Touristenboot der Saison aus, tourt durch den fjordartigen Naturhafen und dann die spektakuläre Felsküste entlang. Praktisch der gesamte Küstenstreifen steht unter Naturschutz und erscheint so unberührt, als habe Gott ihn eben erst erschaffen.

Während Bonifacio sein frommes Programm bereits absolviert hat, bereitet man sich in Sartene auf die große Karfreitagsprozession vor. U Cartenacciu, der "Gekettete", nennt sich das Ereignis, zu dem auch Tausende von Touristen kommen. Endlich strömt der Zug der Gläubigen aus der Kirche Sainte-Marie, angeführt von einer Gestalt in blutrotem Gewand und verhülltem Kopf. Nur zwei winzige Sehschlitze bleiben dem Geketteten, um seinen Weg zu finden. Auf den Schultern trägt er ein schweres Holzkreuz, an seinem Fußgelenk schleift er eine massive Kette hinter sich her.

Ostersamstag in Ajaccio. Auf dem Markt unter den Augen der Napoleon-Statue sind die Caccavelli genannten Osterkuchen mit den eingebackenen Eiern zu Dutzenden ausgelegt. Die ersten Erdbeeren sind reif. Von der Bucht weht eine frische Brise in die "imperiale Stadt", zerrt in den Wedeln der hohen Palmen.

Den Ostersonntag zelebrieren viele Einheimische am liebsten in der Stadt Corte, die in der kurzen Periode korsischer Eigenständigkeit Hauptstadt war und heute Sitz der kleinsten Universität Frankreichs ist. Aus den Fenstern duftet schon der Feiertagsbraten.

Der Wetterbericht sagt auch für den Ostermontag Sonne voraus. So soll es sein, denn der zweite Feiertag ist das Datum, an dem man zum ersten Mal an den Strand geht, sich mutig in die noch kühlen Fluten wirft und anschließend mit der Familie ein Picknick am Saum der See zelebriert.
Claudia Diemar
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