Frankreich

Der Turmbau zu Toulouse

Der Prachtbau des Färberwaid-Fürsten Assezat.

In der südwestfranzösischen Metropole hat der Handel mit Färberwaid eine einmalige Pracht hervorgebracht

Die roten Backsteinfassaden haben Toulouse auch den Beinamen "la ville rose" eingetragen.

Pastel-Laden am Place St. Etienne.

Heute sind Touristen die Hauptabnehmer von Pastel-Produkten.

Die gelb blühende Pastel-Pflanze.

Arkaden am Place du Capitole. Fotos: pa, Office de Tourisme de Toulouse (1)

In einem kleinen Garten mitten in der Toulouser Altstadt sahen wir das Pflänzchen plötzlich. Es lugte mit seinen zitronengelben Blüten zwischen den Gitterstäben hervor und verströmte einen süßen Duft nach Honig. Stadtführerin Meritxell hatte uns schon viel von dem Gewächs erzählt, weil seine Geschichte auch die Geschichte von Toulouse ist. Der Kreuzblütler, von Pflanzenkundlern Isatis tinctoria, von den Franzosen Pastel und in Deutschland Färberwaid genannt, verhalf der Stadt im Südwesten Frankreichs einst zu großem Reichtum und aus der Bedeutungslosigkeit.

Toulouse hatte sich auf den Anbau der Blume spezialisiert, aus deren Blättern sich ein königsblauer Farbstoff gewinnen lässt. Als der Farbton im Mittelalter in Mode kam, brachen für die Stadt zwischen Mittelmeer und Atlantik goldene Zeiten an. Die Pastel-Bällchen (coquaignes) wurden in viele Städte Europas verschifft - im Norden bis nach Hamburg und im Süden bis nach Venedig. Das Dreieck Albi, Carcassonne und Toulouse hieß fortan "Pays de Cocagne", Schlaraffenland. Der Landstrich verfügte über kalkhaltige Böden und viel Sonne - beides liebt die Pastel-Pflanze.

Als Zeichen ihres Wohlstandes errichteten sich die Pastel-Händler im 16. Jahrhundert prunkvolle Häuser mit Arkaden, Innenhöfen und Türmen. "Es war ein regelrechter Wettstreit ausgebrochen, wer den höchsten Turm hat", sagt Touristenführerin Meritxell. Nur die Glockentürme der Gotteshäuser durften nicht überragt werden und setzten dem baulichen Kräftemessen der Färberwaid-Fürsten eine Grenze.

Kaum zu glauben, dass die Toulouser Herrlichkeit einer Blume zu verdanken ist, die mit ihrem Nullachtfünfzehngelb, dem struppigen Grün und ihrer schlechten Haltung wie ein botanischer Nichtsnutz aussieht. Erst ein ausgebufftes Verfahren, das zu den Wunderwerken menschlichen Erfindungsgeistes zählt, verwandelt die unscheinbare Pflanze in das "blaue Gold" von Toulouse. Nach der Ernte kamen die Blätter in die Waidmühlen, der Pamps wurde zum Gären zu einem Haufen aufgeschichtet und einige Wochen später zu pampelmusengroßen Bällchen geformt.

Den unappetitlichsten Job mussten die Waidknechte übernehmen - das Ansetzen der Küpe mit Urin und Pottasche. Fischten sie dann die Stoffe aus der Brühe, waren sie zunächst gelb. Erst an der Luft entwickelte sich durch Oxidation der blaue Farbton. Doch in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts war es mit dem Bällchen-Boom plötzlich vorbei. Die Portugiesen hatten damit begonnen, aus ihren indischen Kolonien das deutlich ergiebigere und leichter zu verarbeitende Indigo nach Europa zu importieren.

Es wurde ruhig um Toulouse. Erst Ende des 19. Jahrhunderts kündigte sich der nächste Höhenflug an: Clement Ader hatte ein Flugobjekt namens Avion erfunden. Die Karriere von Toulouse als europäisches Luft- und Raumfahrtzentrum begann.

Heute ist die 450.000-Einwohner-Metropole an der Garonne die viertgrößte Stadt Frankreichs. Viele der Höher-größer-imposanter-Backsteinbauwerke aus der Pastel-Ära, die Toulouse auch den Beinamen "la ville rose" eingebracht haben, sind nun für die Öffentlichkeit zugänglich - als Museen, Hotels und Schulen. Um den Place du Capitole ist ein Shopping-Viertel entstanden, das von französischen Modemarken über internationale Edelboutiquen bis zu schnuckeligen Spezialitätenläden alles zu bieten hat.

Meritxell macht uns an dem weitläufigen Prachtplatz auf eine Arkadendeckenmalerei aufmerksam: Sie erzählt in 29 Bildern die Stadtgeschichte- von den Albigenserkreuzzügen über die Luftfahrtpioniere um Antoine de Saint-Exupery bis zur Rugby-Leidenschaft der Toulouser. In der Mitte des Place du Capitole erinnert ein großes Katharer-Kreuz im Pflaster daran, dass Toulouse im Mittelalter auch die Hauptstadt Okzitaniens war. Daher stammt auch die Bezeichnung Pastel - okzitanisch für Paste.

In den Straßen der Altstadt kommen wir immer wieder an blauen Schaufenstern vorbei. Denn in den vergangenen zwei Jahrzehnten hat die Pastel-Pflanze als Kosmetikprodukt eine Renaissance erlebt. Die Kreateure der zartblauen Seifen, Cremes und Lotionen berufen sich auf die feuchtigkeits- und elastizitätsspendenden Eigenschaften des Pastel-Öls - und darauf, dass schon Hippokrates auf die Heilkraft des Kreuzblütlers vertraute. In Labege etwas außerhalb von Toulouse soll in diesem Sommer der Komplex "Terre de Pastel" eröffnen - eine Kombination aus Museum und Spa für die Gesichts- und Körperpflege mit Pastel-Öl.

Weitere Stationen an der "Route du Pastel" sind das Chateau Magrin mit Pastel-Museum in St-Paul-Cap-de-Joux und ein Atelier in Lectoure, das sich auf Pastel-Experimente spezialisiert hat. Zurück in die Zeit der Färberwaid-Händler führt das Pastel-Fest im Chateau de Loubens-Lauragais, bei dem sich im Juni einen Tag lang alles um die schmucklose Blume dreht, Demonstrationen des Färbevorgangs inklusive.

Pilar Aschenbach

 

Auf den Spuren des "blauen Goldes"

Toulouse: www.toulouse-tourismus.de 
Pastel-Produkte: www.bleu-de-lectoure.com 
Pastel-Museum: www.pastel-chateau-musee.com 
Pastel-Fest: www.fetesdupastel.com

 





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