Finnland

Unter den Augen der Rentiere

Wenn man es mal kann, sieht es super aus: Schneeschuhwandern in Lappland. Foto: helivideo/iStockphoto

Schneeschuhwandern am Polarkreis will gelernt sein

Was machen die denn da? Das Rentier ist skeptisch. Foto: RomanBabakin/iStockphoto

Als wäre sie bestellt worden, zieht am Horizont eine Rentierherde über Hügel und Täler der Fjälls. Aus der Ferne beobachten drei Samen in traditioneller blau-rot abgesetzter Kluft von ihren Motorschlitten aus das Geschehen. Und aus dem niedrigen Wald stapft gerade breitbeinig eine Handvoll dick vermummter Gestalten. Konzentriert gehen sie – und sehr vorsichtig: bloß nicht mit dem linken auf den rechten Schneeschuh treten – oder umgekehrt. Und bloß nicht schon wieder hinfliegen.

„Es dauert jedes Mal nur ein paar Minuten, bis Neulinge mit der Dimension der Schneeschuhe vertraut sind, sich nicht mehr selber auf die Hacken treten und den richtigen Schritt heraus haben“, lacht Wildnisführer Jaakko Palonpää aus Ivalo in Finnisch-Lappland. Tja, der Schritt, der fällt breitbeiniger aus als in Straßen‧schuhen – und höher, denn ein paar Zentimeter sackt auch der Schneeschuh mit seiner breiten, netzartigen Oberfläche ins weiche Weiß ein. „Wer schlurft, der fällt“, sagt Jaakko und gerät einen Moment lang fast selbst ins Straucheln.

Puderzuckergestöber im Tiefschnee

Es muss ein Spaß sein, als Unbeteiligter Schneeschuhwanderer bei ihren ersten Gehversuchen zu beobachten – und erst recht beim Schuheanziehen im Schnee: Auf einem Bein tänzeln sie mäßig elegant, hantieren unsicher mit den überdimensionierten Schuhen, kämpfen ums Gleichgewicht – und verlieren. Der erste rappelt sich gerade aus dem weichen Schnee auf. Beim Versuch, auf einem Bein zu balancieren, bis ein Schneeschuh montiert war und gleichzeitig nach dem zweiten zu hangeln, ist er umgeplumpst und zwischen zwei Kiefern einen halben Meter tief eingesackt.

Seine Mitstreiter dieses Vormittags finden das ebenfalls komisch und klopfen ihm fröhlich den Schnee vom gefütterten Anorak. Sie treten sich dabei gegenseitig auf die ungewohnt großen Schuhe, stolpern gegen eine Tanne, lösen ein mittleres Puderzuckergestöber aus – und stürzen nun zu dritt in den Schnee. Der ist in Lappland glücklicherweise tief, weich und auf Dauer sogar ein bisschen gemütlich.

Ein magischer Himmel

Langsam nur war diesen Vormittag ein Streifen Tageslicht den Horizont hinaufgeklettert: erst ein roter Schimmer, dann ein feuriger Schein, bald darauf ein bläuliches, klares Leuchten. Ein Licht, bei dem man plötzlich die Kobolde im Wald tanzen sieht.

Die Sonne wird Anfang Dezember nicht höher steigen als die Wipfel der Tannen aus dem Schnee herausragen und dennoch über die Polarnacht siegen. Selbst rund um den 21. Dezember, dem dunkelsten Tag des Jahres, ist der Himmel nicht rund um die Uhr pechschwarz, sondern changiert eine Zeit lang in magischem Dunkelblau. Mitte Januar ist es in der Gegend von Ivalo schon wieder jeden Tag für etwa drei Stunden hell.

Nach ein paar Kilometern querfeldein über den Tiefschnee werden die Schritte der Schneeschuhwanderer dieses Tages langsamer, die Beine von Minute zu Minute schwerer. Hingeflogen ist lange keiner mehr, zügig hat sich so etwas wie Routine eingestellt.

Jaakko macht Feuer an einer vorbereiteten Lagerstelle, kocht Tee, serviert ihn in geschnitzten Holztassen, an deren Rändern man sich nicht die Lippen verbrennen kann. Und er bereitet Lachssuppe am Lagerfeuer zu. Falls Winter einen Geschmack hat: Es könnte dieser sein – würzig ist er und rein. Und alles ist im Gleichgewicht.

Helge Sobik
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