Frankreich

Militärhafenstadt mit rauem Charme

Im Stadtkern von Cherbourg laden kleine Geschäfte zum Bummeln ein. Foto: uf

Im Stadtkern von Cherbourg laden kleine Geschäfte zum Bummeln ein. Foto: uf

Frankreich: Cherbourg besticht mit verwinkelten Hinterhöfen, einem außergewöhnlichen Tiefsee-Museum und schicken Regenschirmen

Kreuzfahrtschiffe, im Hintergrund die Aida Cosma, steuern die Hafenstadt an. Foto: uf

Kreuzfahrtschiffe, im Hintergrund die Aida Cosma, steuern die Hafenstadt an. Foto: uf

Im Cour Marie wurde „Les Parapluies de Cherbourg“ gedreht. Foto: uf

Im Cour Marie wurde „Les Parapluies de Cherbourg“ gedreht. Foto: uf

Elke kommt an diesem Tag extra aus dem rund 400 Kilometer entfernten Paris angereist. „Seit Ausbruch des Coronavirus haben viele meiner Kollegen aufgegeben, wir haben Personalmangel“, sagt die zierliche Frau, die gleich eine Gruppe Touristen durch Cherbourg führen wird. „Ist die Stadt sehenswert?“, will ein Besucher noch vor der Tour wissen. Elke gibt sich verhalten. Das Städtchen sei längst nicht so schön wie das bei Normandie-Fans beliebte Dorf Barfleur, sagt sie ausweichend und eilt los. Nicht jeder erliege dem Charme der Militärhafenstadt. 

Die Gästeführerin stapelt tief. Die rund 80.000 Einwohner zählende Stadt in der Normandie ist durchaus einen Besuch wert. Wer mit dem Schiff anreist, durchfährt den zweitgrößten künstlichen Vorhafen der Welt. Auf einer Länge von neun Kilometern sind imposante wehrarchitektonische Befestigungen zu sehen, die einst als Rückzugsmöglichkeit während drohender Schlachten mit England dienten. Auch heute ist die künstliche Reede, einstiges Prestigeprojekt von Napoleon I., keinesfalls nutzlos: Sie schützt vor den starken Strömungen des manchmal ziemlich ungemütlichen Ärmelkanals.

Der letzte kontinentale Hafen der Titanic

Dass der Hafen nicht nur in militärischer Hinsicht bedeutend ist, wird bei einem Besuch im Cite de la Mer, dem Tiefsee-Museum, deutlich. Vom Transatlantik-Hafen brachen einst Tausende Menschen in die neue Welt auf, weshalb Cherbourg unter anderem auch „Tor nach Amerika“ genannt wird.

Die Stadt war der letzte kontinentale Hafen, den die legendäre Titanic am 10. April 1912 anlief. Am 15. April 1912 sank sie. Ein riesiger Bereich im Museum ist ihrer schicksalhaften Geschichte gewidmet. Ein weiteres Highlight des Museums ist „Le Redoutable“, das größte zu besichtigende Atom-U-Boot der Welt.

Unweit des Hafens liegt die beschauliche Innenstadt von Cherbourg. Elke führt ihre Gäste durch enge Gassen, entlang an Schieferhäusern mit bunten Fassaden, in denen Läden Souvenirs und Kunsthandwerk feilbieten, vorbei an kleinen Cafés zur Markthalle. Die Besucher schauen etwas verwundert, als die Französin auf einen kleinen Gang in einer gegenüberliegenden Häuserzeile deutet. „Dort müssen wir hin“, sagt sie und schon verschwindet die kleine Gruppe – um nur Sekunden später in den Hinterhöfen wieder aufzutauchen.

Grüne Oase zwischen den Häuserschluchten

Die Überraschung ist gelungen. Die verwinkelten Hinterhöfe empfangen die Gäste mit einem besonderen Charme. Überall gibt es etwas zu entdecken. „Ein Restaurant hätte ich hier nicht vermutet“, murmelt einer der Gäste und zeigt auf die Speisenkarte von L’Antidote. „Da kann man gut essen“, sagt Elke.

Weiter geht es durch die Straßen Cherbourgs, bis die Stadtführerin auf einmal stoppt. Vor der Gruppe liegt eine grüne Oase, mitten zwischen den Häuserschluchten. Der Jardin Emmanuel Liais entführt die Besucher in einen kleinen Dschungel. Exotische Pflanzen blühen in voller Pracht, auch stattliche Palmen sind zu sehen. „Emmanuel Liais war ein Astronom, Botaniker und Forschungsreisender, der lange Zeit in Brasilien gelebt hat, und der viele exotische Pflanzen nach Cherbourg importierte.“

Nach einer kurzen Verschnaufpause schlendern die Pariserin und ihre Gäste zurück durch die kleinen Gässchen, zum Cour Marie. Der kleine hübsche Hof mit historischem Charme ist einer der Drehorte des Musicalfilms „Les Parapluies de Cherbourg (Die Regenschirme von Cherbourg)“, mit dem Catherine Deneuve 1964 der Durchbruch gelang.

Auch wenn heute im Cour Marie Künstler und Kreative ihre kleinen Ateliers haben – Regenschirme gibt es dort keine. Die finden sich in der Manufaktur „Le Parapluies de Cherbourg“ unweit des Hafens. Schon von Weitem ist das schmucke mit Regenschirmen bestückte Gebäude zu sehen. Seit 1986 wird dort Regenschutz in luxuriöser Ausfertigung manuell gefertigt. Und den kann man nicht nur in Cherbourg ab und an gut brauchen. 

 
Ute Fiedler
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