Unterwegs in der Hochburg der Amischen im Bundesstaat Pennsylvania
Gut, dass wir auf Lori gehört haben. Die rührige Gastgeberin unseres heimeligen Bed & Breakfast hat uns nämlich geraten, den Rest unseres Ankunftstages nicht in der nahe gelegenen Kleinstadt Lancaster zu verbringen, obwohl das Touristen eigentlich empfohlen wird. „Wenn ihr sehen wollt, wie die Amischen wirklich leben, solltet ihr einfach ein bisschen durch die Gegend fahren.“
Also steigen wir in unseren Mietwagen, fahren ein bisschen durch die Gegend – und sind total baff. Auf unserem frühabendlichen Ausflug auf einsamen Nebenstraßen und Wirtschaftswegen im ländlichen Pennsylvania sehen wir nämlich weitaus mehr als nur verstreute Bauernhöfe, Wiesen, Kühe und Pferde. Wir wähnen uns auf einer Zeitreise.
Wie auf einer Zeitreise
Die Tour geht vorbei an Feldern, auf denen Farmerfamilien wie vor 300 Jahren ihre Arbeit verrichten: Männer mit langen Bärten, Hosenträgern und auffällig großen Strohhüten bewegen altertümliche Landmaschinen mit Pferdegespannen, Frauen mit weißen Hauben und hochgeschlossenen Kleidern helfen ihnen dabei. Und immer wieder begegnen uns statt Autos kleine Kutschen und Tretroller, die traditionellen Transportmittel der Amischen. Das alles erscheint wie eine andere Welt, wie ein riesiges Freilichtmuseum.
Aber wir befinden uns im Jahr 2023 und merken, dass die amische Kultur in den USA alles andere als Traditionspflege gepaart mit Touristenfolklore ist. Gerade im Lancaster County ist die protestantische Glaubensgemeinschaft sehr präsent, wie am nächsten Tag auf dem Schau- und Museumshof „The Amish Farm & House“ zu erfahren ist. „Zwar sind heute fast 400.000 Amische über viele Bundesstaaten verteilt“, sagt Touristenführerin Heidi. „Aber davon leben mehr als zehn Prozent hier in der größten Gemeinde.“
Das ist kein Zufall. Der westlich von Philadelphia gelegene Landstrich war das erste Siedlungsgebiet der Amischen, die ab Anfang des 18. Jahrhunderts vor allem aus Südwestdeutschland einwanderten. Hervorgegangen waren sie bereits in Europa aus der Täuferbewegung der Mennoniten, die sich ebenfalls in der Region niederließen. Dort zeugt noch heute der Name Germantown, ein Stadtteil im Nordwesten von Philadelphia, von der deutschen Immigrationsgeschichte.
Überflüssiges wird abgelehnt
Und nicht nur das. Auch sprachlich haben die religiösen Einwanderer viel aus Übersee mitgebracht und in die Gegenwart herübergerettet. Nach wie vor wird in Familien das so genannte Pennsylvania Dutch, ein Mix unter anderem aus vorderpfälzischen Dialekten und amerikanischem Englisch, gesprochen. In der Kirche wiederum singt man seit jeher hochdeutsch.
Je tiefer der Museumsbesucher in den Alltag der „Amish People“ eintaucht, desto deutlicher wird, dass sie fast vollständig entkoppelt von der Mehrheitsgesellschaft in den USA leben – zumindest die Angehörigen der besonders puristischen „alten Ordnung“. Kein Telefon, Fernseher, Computer oder andere technische Errungenschaften sind in den Häusern zu finden, nicht einmal an das Stromnetz sind sie angeschlossen. „Überflüssiges wird abgelehnt, alles muss nützlich und notwendig sein“, führt Heidi von der Amish Farm aus.
Zehntausende Besucher pro Jahr
Dazu kommt das gesellschaftliche Leben, das autonom von den Gemeinden bis ins Detail durch strenge Kleidungs- und Verhaltensnormen geregelt ist. Einzige Ausnahme ist die Zeit des „Rumspringa“ etwa ab dem 16. Lebensjahr: Dann sind die Jugendlichen ein paar Jahre lang ein Stück weit der Kontrolle entzogen, bis sie einen Ehepartner gefunden haben und durch Taufe der Gemeinde beitreten. Von da an müssen sie sich an deren Regeln halten.
Auch wenn es mitunter den Anschein hat, dass sich die Amischen von Touristen eher gestört fühlen – deren Tradition und Lebensweise zieht jährlich zehntausende von Besuchern insbesondere aus den deutschsprachigen Ländern an, weiß man beim Mennonite Life Visitors Center in Lancaster. Dort ist auch ein äußerst informativer Kurzfilm über die Einwanderer zu sehen, an dessen Ende es treffend heißt: „Die Amischen leben in den Grenzen, die sie sich selbst gesetzt haben.“