Marokko

Ein blaues Wunder

Ob der Anstrich die Einwohner vor Unheil oder Insekten schützen soll – eine Augenweide ist er jedenfalls

Ob der Anstrich die Einwohner vor Unheil oder Insekten schützen soll – eine Augenweide ist er jedenfalls

Bei Mohammad und Fatima in Chefchaouen im Rif-Gebirge

Der Maler macht blau: Mohammad schwingt den Pinsel, damit die Farben Chefchaouens nicht verblassen

Der Maler macht blau: Mohammad schwingt den Pinsel, damit die Farben Chefchaouens nicht verblassen

Bei Fatima Hamich finden Reisende das passende Mitbringsel

Bei Fatima Hamich finden Reisende das passende Mitbringsel

Im Rücken des Städtchens türmt sich das Rif-Gebirge auf, das insgesamt fast 350 Kilometer parallel zur marokkanischen Mittelmeerküste verläuft

Im Rücken des Städtchens türmt sich das Rif-Gebirge auf, das insgesamt fast 350 Kilometer parallel zur marokkanischen Mittelmeerküste verläuft. Fotos: Balate Dorin / iStockphoto, heu (3)

Mohammad hat zwar nur noch wenige Zähne in seinem Unterkiefer, doch auf einen ordentlichen Anstrich lässt der marokkanische Maler wahrlich nichts kommen. Mit einer Farbrolle in der Hand streicht er eine Mauer im hellen Blau, genauer gesagt, er frischt die Farbe der bereits hellblau gefärbten alten Mauer etwas auf.

„Früher war unsere Stadt weiß, aber als die marokkanischen Juden aus Spanien zu uns kamen, da brachten sie diese Tradition mit“, glaubt Mohammad. Doch ganz sicher ist diese Theorie nicht. Fatima Hamich, die nicht allzu weit von Mohammads Mauerwerk entfernt ein Souvenirgeschäft betreibt, hat etwas anderes gehört – weiß aber auch nicht genau, warum Chefchaouen im Rif-Gebirge die womöglich blaueste Stadt der Welt ist.

Farbenrausch zieht Touristen an

„Ein Teil der Leute sagt, das Blau hilft, Insekten fernzuhalten, ein anderer Teil meint, die Häuser und Straßen wurden blau gefärbt, um den Tourismus zu fördern“, mutmaßt Abdul Karim, Fatimas Sohn. Das Blau schütze vor dem bösen Blick, ähnlich wie das Blaue Auge oder die Hand der Fatima, so lautet eine weitere Theorie – doch eigentlich ist es auch gar nicht so wichtig, warum sich in der Stadt die verschiedensten Blauschattierungen finden.

Sicher ist, der Chefchaouener Farbenrausch ist schön anzusehen und lockt und fasziniert zahlreiche Touristen aus aller Welt. Die Stadt ist seit jeher konservativ und gläubig. Bis 1920 war Nichtmuslimen der Besuch der nordmarokkanischen Stadt sogar untersagt.

„Chefchaouen war eine von zwei heiligen Städten in Marokko, die für Nichtmuslime verboten waren, weil dort heilige Männer begraben sind, die als Nachfahren Mohammeds angesehen werden“, erklärt Mohamad Chamaly, der seit Jahren Rundreisen durch Marokko begleitet. In den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts war ein Besuch in Chefchaouen für ärmere Marokkaner zum Teil sogar ein Ersatz für die vorgeschriebene Wallfahrt in die heilige Stadt Mekka.

Ex-Hippie-Hochburg

Heute jedoch kommen die Besucher weniger aus religiösen, sondern eher aus farblichen Gründen. Sie bewundern die faszinierenden Blautöne, die in der ganzen Stadt anzutreffen sind. Blaue Türen, blaue Fensterrahmen, blaugestrichene Häuser, blaues Pflaster, blaue Wände – und zum Teil sogar blaue Grabsteine.

Die ersten ausländischen Besucher ab den 1960ern lockten weniger die steilen Gassen der Medina mit den blau gefärbten Häusern, sondern das Marihuana und Haschisch aus dem Rif-Gebirge.

Inzwischen sind die kiffenden Hippies weitgehend von fotografierenden Asiaten und Backpackern abgelöst worden, doch ruhig und entspannt geht es in den Gassen noch immer zu.

„In Deutschland haben sie Uhren, in Marokko haben die Menschen Zeit“, beteuert der Reiseführer Mohamad Chamaly. Und Zeit sollte man für einen Besuch der 42.000-Einwohner-Stadt durchaus mitbringen. Denn hier gibt es nicht nur zwei oder drei Highlights, die man schnell abhaken könnte – vielmehr ist die ganze Stadt eine einzige Sehenswürdigkeit, ja, ein einziges blaues Wunder.

Rainer Heubeck