Katar

Arabiens neue Perle

Saad Ismail Khalifa al-Jassim gilt als der letzte Perlenfischer von Doha.

Zwischen Tradition und Moderne: Beim letzten Perlentaucher von Katar

Katar holt auf: die Skyline von Doha mit Holzbooten im Vordergrund. Fotos: hs

Er gehört in beide Zeiten, hat den Gebetsruf des Muezzins als Klingelton seines Handys programmiert, das plötzlich „Allahu akbar“ ruft. Saad Ismail Khalifa al-Jassim ist im Jetzt zu Hause, ist offen für die Zukunft, bereut nichts an der Moderne – und trotzdem leuchten die Augen des 72-Jährigen, wenn er von der Vergangenheit erzählt: Von der Zeit, als er sich vor der Küste Dohas über die Reling seines Bootes ins Wasser des Persischen Golfs fallen ließ, für zweieinhalb Minuten die Luft anhalten konnte und auf dem Meeresgrund nach Austern suchte. Die Halbinsel Katar galt damals als Perlentaucherhochburg am Golf.

Wo gestern noch nichts als Sand und Himmel war, reckt sich heute die Skyline mit immer neuen Designer-Türmen aus Glas und Aluminium empor. Katar gilt als das reichste Land der Erde umgerechnet auf die Pro-Kopf-Zahl der Bevölkerung. Das weltweit zweitgrößte Gasvorkommen ist Ursache dafür. Politisch ist das Emirat um gut ein Drittel kleiner als Schleswig-Holstein, liberaler als der übermächtige Nachbar Saudi-Arabien, aber weit konservativer aufgestellt als etwa Dubai. Touristisch steckt es in den Kinderschuhen – trotz der Anbindung von Frankfurt, München, Berlin und jetzt auch Stuttgart mit Qatar Airways.

Saad Ismail Khalifa al-Jassim verkauft derweil polierte Muschelgehäuse, dazu hölzerne Modelle typischer Dhaus. Und echte Perlen. Manchmal schaut sogar Emir Hamad bin Khalifa al-Thani in dem kleinen Laden im Souk Waqif mitten in der Hauptstadt Doha vorbei, um Perlen einzukaufen. Die beiden kennen sich gut, plaudern dann über frühere Zeiten, den Wandel und darüber, dass zu viel Altes in den temporeichen Jahren des Booms unwiederbringlich verloren geht.

Den Souk hat Hoheit deswegen rekonstruieren lassen. Er sollte aussehen wie die Kindheitserinnerungen des Herrschers an den Basar von einst. Nichts wirkt hier künstlich. Die Menschen nehmen Souk Waqif an, als hätte es ihn immer gegeben. Sie hocken vor den Läden und rauchen Wasserpfeife, essen auf den Dachterrassen der Restaurants, kaufen jemenitischen Honig, bummeln durch die Gassen. Und wer mag, kann sogar in einem der Geschäfte ausgebildete Jagdfalken bei Fereidoun Arbabi erstehen. Der Mann hockt mit einem Falken auf der Hand vor seinem Laden auf einer Bank und wartet auf Kunden.

Diese Vögel sind etwas, was den Sprung vom alten ins neue Doha überleben wird. Sie sind fest in der Tradition verankert und werden auch noch fliegen, wenn ihre Besitzer eines Tages alle in neuen Wolkenkratzern wohnen sollten – oder in den Villen und Apartment-Türmen des gewaltigen Landgewinnungsprojekts „The Pearl“ vor der Küste von Doha. 20 Milliarden Dollar verschlingt es und hat aus der Luft betrachtet die Form mehrerer nebeneinander liegender Austern.

Was der Perlentaucher von dem neuen Gesicht Dohas hält? „Der Tag, den du gerade erlebst, ist immer der beste“, sagt er salomonisch. „Das Leben wäre viel härter, wenn du zuließest, dass dir etwas nicht gefiele.“
Helge Sobik
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