Indien

Koloniales Flair in Fort Cochi

In Jewtown gibt es nur noch neun jüdische Bewohner.

Im Boom-Staat Kerala ist das Erbe vieler Kulturen zu sehen

Mehr als 600 Jahre alt: Holzgestelle für die Fischernetze am Hafen. Fotos: jm

Das Curry aus geheimnisvollem Masala wird auf einem Bananenblatt serviert. Gegessen wird mit der Hand. Und wenn man fertig ist, landet der Bio-Teller schnurstracks auf der staubigen Straße. Keine Minute später trottet eine Kuh heran und vertilgt seelenruhig das Blatt mit Curry-Geschmack: Abwasch à la India.

Das war in Kerala vor zehn Jahren noch Alltag. Doch der südliche Bundesstaat hat sich seit der Jahrtausendwende stark gewandelt. Die Teller sind inzwischen meist aus Plastik, die Straßen überwiegend geteert, die Ernten noch ergiebiger als früher. Elendsviertel sind deutlich weniger zu sehen als in anderen Bundesstaaten, und selbst die im Norden sagen nicht mehr allzu oft Mallus zu den Bewohnern Keralas.

Mallu zu sagen, ist in etwa so charmant wie einen Sachsen Ossi zu nennen. Die Stimmberechtigten unter den gut 30 Millionen Einwohnern Keralas wählen überwiegend kommunistisch, den Menschen im Süden wird auch gerne eine gewisse Behäbigkeit nachgesagt. Was jedoch im Widerspruch steht zur sichtbaren Entwicklung.

Zum Beispiel in Cochi, dieser lebendigen, modernen Hafenstadt mit Anlagen, scheinbar so groß wie in Singapur oder Rotterdam: Die Portugiesen landeten dort um 1500. Vasco da Gama gründete die erste Handelsniederlassung. Zur gleichen Zeit siedelten sich große jüdische Gemeinden an und erbauten 1567 die bis heute erhaltene Synagoge in ihrer Jewtown. In Sarah's Embroidery Shop in der Synagoge Lane findet man einen Schlüssel zu diesem außergewöhnlichen Viertel: Die 82-jährige Besitzerin Sarah ist eine der letzten neun jüdischen Bewohner in Jewtown.

Die Engländer kamen, die Holländer suchten ihr Glück, arabische Kaufleute hinterließen architektonische Reminiszenzen und die chinesischen Fischer ihre markanten Netze an den bis heute benutzten, an die 20 Meter hohen Holzgestellen am Ufer von Fort Cochi, dem ältesten Teil der 700.000-Einwohner-Stadt.

Der Kublai Khan entsandte einst Untertanen für den Gewürzhandel. Pfeffer hieß die begehrte Ware, aber auch Kardamom oder Ingwer. Und sie werden bis heute gehandelt in den Lagern von Fort Cochi, das wirkt wie ein Freilichtmuseum mit Souvenirgeschäften. "Deshalb sollte unser Neubau unbedingt aussehen wie aus vergangenen kolonialen Tagen", sagt Sam John, Direktor des Brunton Boatyard.

Das Hotel wirkt, als habe es George Brunton mit seinen Söhnen William und Jack ein Jahrhundert vor unserer Zeit erbauen lassen. "Die Bruntons waren Pioniere, Ingenieure, Textilfabrikanten, und sie brachten das erste Kino nach Cochin", fährt Sam fort. "Nach ihnen ist unser Hotel benannt." Ob Lichtschalter oder Wasserhahn, Ventilatoren oder Türen - in diesem Schmuckkästchen sieht alles perfekt und passend zu Fort Cochi aus (www.cghearth.com/brunton-boatyard).

Cochi hat wegen des Stadtteils Fort Cochi einen festen Platz auf Rundreiserouten durch Kerala. Ein Bummel durch die Gassen zum Ufer mit den berühmten Fischernetzen der Chinesen, deren Holzkonstruktionen aus dem 14. Jahrhundert stammen, führt unter anderem zum Fischmarkt am Vasco da Gama Square, wo die ganze Beutevielfalt aus dem Indischen Ozean auf großen Waagen zu bewundern ist, am besten morgens oder abends.

Wenige Blocks weiter hat Vasco da Gama noch eine Spur hinterlassen. Die St. Francis Church von 1510 ist die erste christliche Kirche in Indien und gleichzeitig Begräbnisstätte von Vasco da Gama, der 1524 in Cochin verstarb. 14 Jahre später wurden seine Gebeine nach Portugal überführt, der Grabstein aber ist erhalten.
Jochen Müssig