Galway: Die lebendige Küstenstadt wird 2020 Kulturhauptstadt
„Und genießen Sie jeden Augenblick“, sagt die kleine alte Dame mit ihrem reizenden Akzent und fast großmütterlicher Herzensgüte und verlässt, ihren Rollkoffer in den Hacken fest im Griff, watschelnd das Café im Busaras-Omnibusbahnhof in Dublin.
Zuvor hatte sie uns gebeten, ein Auge auf ihren Trolley zu haben, während sie „für kleine Mädchen“ geht. „Passen Sie gut drauf auf, da sind meine Millionen drin“, hatte sie gewitzelt. Als sie zurückkam, erkundigte sie sich nach unseren Reiseplänen. Ob wir weit führen? Nein, bloß an die Westküste nach Galway, so die Antwort. Und ob das weit sei, quittierte sie prompt.
Wir sitzen im Bus. Saftige Wiesen und schroffes Terrain, über und über mit Stechginster und Fuchsienhecken dekoriert, fliegen am Fenster vorbei. In knapp drei Stunden kreuzt der Bus der Linie X20 das Land von Küste zu Küste. Kostenpunkt: Hin und Rück je acht Euro. Damit ist die Fahrt im Vergleich nicht nur wesentlich günstiger als die entsprechende Zugverbindung – je über 20 Euro inklusive Umstieg in beiden Richtungen bei etwa gleicher Reise‧dauer. Man hat auch mehr davon.
Der Bus kommt pünktlich in Galway an. Direkt am Bahnhof, östlich des lachsreichen Corrib, einem der kürzesten europäischen Flüsse, parkt der Fahrer, öffnet die Türen und wünscht uns eine schöne Zeit – Irland, wo Fremde Freunde sind, die man noch nicht kennengelernt hat.
Historische Stadt, modernes Flair
Das Hafenstädtchen Galway ist fein rausgeputzt. Schmuddelecken wie sie sich teils in der Hauptstadt Dublin – vielerorts durchaus auch liebenswert – ins Stadtbild schmuggeln, sucht man hier vergeblich. Im nächsten Jahr, wenn Irlands viertgrößte Stadt Europäische Kulturhauptstadt ist, werden noch einmal mehr Feste ge‧feiert, als es ohnehin schon üblich ist.
Die Straßen prägt ein Konsens von Tradition und Moderne. Im Shopping-Zentrum Eyre Square Centre sind Überbleibsel der mittelalterlichen Stadtmauer erhalten und in die Baustrukturen im Inneren des Konsumhauses eingepflegt worden. Ebenso am Spanish Arch, wo Teile einer alten Befestigungsanlage dem schicken Stadtmuseum gegenüberstehen wie ein steingewordener Wortwechsel der Jahrhunderte.
Mitte der Neunziger begann sich die Inselrepublik vom Armenhaus Europas zum „Tigerstaat“ zu entwickeln. Infrastruktur und Städtebau haben aus dieser Zeit sichtlich profitiert. Aber der „Celtic Tiger“ ist jetzt in die Jahre‧gekommen, der Boom, der sich bis in die Nullerjahre zog, weitgehend verpufft. Allenfalls noch ein „Celtic Hauskätzchen“ ist vom großen Aufschwung geblieben. Der Brexit sitzt dem Land im Nacken. Gleichzeitig haben die goldenen Jahre die Selbstachtung der Iren gestärkt. Und mit ihrem Stolz wissen sie zu haushalten, das hat die Geschichte sie gelehrt.
Pralles Freizeitangebot
Der Himmel funkelt mausgrau, fast metallen. Regen liegt in der salzigen Luft. Die Straßenmusik wird leiser. Kurz darauf sind wir nass bis auf die Knochen. Das Wetter an der Atlantikküste ist keck und mitleidlos wie ein schlechter Witz. Aber: Ganz egal, wo man sich in Galway befindet – der nächste Pub ist immer nur fünf Gehminuten entfernt. Zuflucht vor den meteorologischen Launen bieten außerdem die vielen hervorragenden Restaurants.
Der nächste Tag grüßt mit spitzen Sonnenstrahlen, die sich sogar bis nach dem Frühstück behaupten. Dann geht es raus vor die Tür. Mit dem Bus an die atemberaubenden Basalt- und ‧Granitklippen von Moher, die über eine Strecke von acht Kilometern und mehrere Hundert Meter steil dem Ozean die Stirn bieten.
Oder zu Fuß entlang der „Salthill Prom“, ganz wie in dem Steve-Earle-Song „Galway Girl“. Am Strand gegen die Brise anschlendern bis zum Sprungturm von „Blackrock“, die Stufen rauf und den wackeren Schwimmern bei ihrer Kaltwasseranwendung zusehen.
Oder mit der Fähre auf die Aran-Inseln und dort das prähistorische Ringfort an einem der westlichsten Zipfel Europas bestaunen, bis man wirklich glaubt, was man vor sich sieht.
Oder vom Fahrradsattel aus die ungezähmte Farbpalette der Connemara-Region absorbieren. Und mit jedem weiteren „Oder“ wird klar: Ein Besuch reicht bei Weitem nicht aus.