In den Kolonialstädten Nicaraguas ist noch vieles wie anno dazumal
Im Hotel Plaza Colon in Granada konzentriert sich ein Stück nicaraguanische Geschichte. Zu Kolonialzeiten gehörte das Haus am Parque Central einer betuchten Familie, seit rund einem Jahr ist es noble Touristenbleibe. Im Innenhof schimmert ein Pool, früher stand dort Vieh. Die Zimmer im ersten Stock sind die besten: Sie haben eine breite Veranda, gegenüber leuchtet zwischen Palmen die quittengelbe Kathedrale. Am Morgen bimmeln die Glocken und lärmen die Drosseln in den Mango-Bäumen.
Ausschlafen ist also schlecht im Plaza Colon (
www.hotelplazacolon.com), aber wer will das schon. In Granada, der drittgrößten Stadt Nicaraguas und der ältesten Kolonialstadt Zentralamerikas, lässt sich die Urlaubszeit sinnvoller verbringen als im Bett – und sei dieses noch so weich und kunstvoll geschnitzt. Man kann die Stadt zu Fuß erkunden oder sich in eine der Pferdekutschen werfen, die vor der Treppe warten, um Fremde abzuschleppen. Die Kutschen sind auf historisch getrimmt und fügen sich perfekt in die bunte Häuserkulisse ein, die den Parque Central säumt. Im schnörkeligen Pavillon tändelt die Jugend. Sie trägt bauchfrei, das passt nicht ganz ins koloniale Bild. Und auch der Hot-Dog-Stand vor der Kathedrale holt den Besucher ins Hier und Jetzt.
Ein paar Straßen weiter aber wieder ein Zeitsprung, denn dort baut sich Weltkulturerbe auf: das San-Francisco-Kloster mit schmutzig weißer Kirche daneben. Seit den 1980ern ist in dem Kloster ein Museum für Architektur untergebracht – und eine Ausstellung mit präkolumbischen Statuen. Für Völkerverständigung und Kunst steht das Casa de los tres mundos ein, das Haus der drei Welten. Der Kolonialbau wurde aufwändig restauriert und beherbergt heute auch das Stadtarchiv.
La gran sultana, die fette Rosine, wie der Volksmund Granada auch nennt, wurde 1523 von dem spanischen Eroberer Francisco Hernández de Córdoba am Nordufer des Nicaragua-Sees gegründet. Mittlerweile zählt die Stadt im Schachbrett-Look rund 190.000 Einwohner. Die meisten davon sind arm, aber reicher als der Durchschnitt. Fahrräder sind begehrtes Fortbewegungsmittel – und Mangelware. Zu zweit oder zu dritt klemmen die Leute auf den Drahteseln. Wenn es regnet, und es regnet viel in Nicaragua, dann ist das sogar praktisch: Einer strampelt, einer hält den Schirm. Je nach Region dauert die Regenzeit bis zu zehn Monate. Die Cafés und Restaurants in der Calle la Calzada, die vom Parque Central hinunter zum See führt, können sich längst nicht alle Einheimischen leisten. Zu europäischen Preisen besteht kein großer Unterschied. Das gilt allerdings nur für jene Teile Nicaraguas, die touristisch erfolgreich sind. Mehr als 80 Prozent des Fremdenverkehrs spielt sich im Südwesten des Landes ab, also an der Pazifik-Küste und in den Kolonialstädten.
Seit Jahren verzeichnet die Branche zweistellige Wachstumszahlen. Mittlerweile kommen rund 770.000 ausländische Besucher pro Jahr, darunter knapp 11.000 Deutsche. Sie wollen die kolonialen Perlen sehen wie Granada, León, Bruselas und Rivas. In Rivas, unweit der Grenze zu Costa Rica, möchte man die Kathedrale San Pedro von 1854 am liebsten anknabbern. Der Kitschbau sieht wie ein Zuckerbäckerwerk aus, himmelblau und weiß glasiert. Sinn und Zweck der Kolonialstädte war dereinst, die Wirtschaft zu beflügeln. Wer sich widersetzte, wurde von den spanischen Konquistadoren bekriegt und versklavt.
Doch die spanische Besetzung – sie ist nur eine von vielen saftigen Ohrfeigen, die Nicaragua in der Vergangenheit empfangen hat. Als letzter großer Schlag ist die Diktatur Somozas dokumentiert, die mit der Nicaraguanischen Revolution im Juli 1979 endete. Der Nationalpalast in der Hauptstadt Managua, Ex-Parlamentssitz, hielt dem Sturm der Sandinistischen Nationalen Befreiungsfront stand. Er ist jetzt Kulturmuseum, das dem Touristen Infos zum Verständnis von Land und Leuten liefert. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit gibt es in Nicaragua eine ausgeprägte Landflucht. Geschätzte 1,5 Millionen Menschen knäulen sich in der Kapitale Managua, das ist fast ein Viertel der gesamten Bevölkerung.
Umso ländlicher ist es auf dem Land. Die Straßen sind vielerorts schlecht, das heißt hubbelig und längst nicht immer asphaltiert. Wer die Kolonialstädte abklappert, sollte Pausen einplanen, zum Beispiel in den „Weißen Dörfern“, Knotenpunkte fürs Souvenir-Shopping. Jedes Dorf steht für eine andere Spezialität. In Masaya sind es Hängematten, San Juan de Oriente ist für seine Keramik bekannt, und in Diriomo kann man Süßes erstehen. Auch der Nationalpark Masaya Volcano bei Managua empfiehlt sich für einen Stopp. Der Vulkan legt Zeugnis über Nicaraguas naturschauspielerische Begabung ab – und über ein blutiges Stück Geschichte. Es geht die Sage, dass hier vor langer Zeit Kinder geopfert wurden, um die Götter bei Laune zu halten. Herzen wurden in den Krater gekippt, was ihm den Namen „Schlund des Teufels“ einbrachte. Später soll die Nationalgarde darin Bürgerkriegsleichen entsorgt haben.
Der Masaya-Vulkan ist noch immer nicht zur Ruhe gekommen. Zuletzt spuckte er vor sechs Jahren aus, seitdem ist ein Seismograf montiert. Den Atem sollte man dennoch anhalten: Aus dem Kegel wabern Schwefelwolken, die der Gesundheit schaden.
Pilar Aschenbach