Der Recoleta-Friedhof in Buenos Aires zieht Besucher aus aller Welt an
Wenn Patricia Salao mit Gästen aus aller Welt auf Tour geht, dann spaziert sie zwischen kunstvollen Skulpturen und kleinen Palästen umher. Sie streift griechische Tempel, gotische Kathedralen und ägyptische Pyramiden in Miniaturversion. Auf den Friedhof in Recoleta, einem vornehmen Stadtviertel von Buenos Aires, bauten sich die Reichen in der Zeit von 1880 bis 1930 teure und aufwändige Grabdenkmale. Sie wollten ihren Wohlstand über den Tod hinaus zur Schau stellen.Meist waren es Viehbarone, die das große Geschäft machten, als das argentinische Rindfleisch dank besserer Gefriertechnik leicht nach Europa exportiert werden konnte, aber auch Zeitungsmagnaten und Verleger wie Jose Camilo Paz. Seine Grabstätte, auf der zwei steinerne Engel gen Himmel blicken, zählt zu den schönsten auf dem Recoleta-Friedhof.
Doch die prachtvollsten Gräber sind keineswegs die am häufigsten besuchten. Obgleich Recoleta zu den zehn schönsten Friedhöfen der Welt zählt, kommen die meisten Besucher vor allem aus einem Grund hierher – sie wollen das Grab von Maria Eva Duarte de Peron sehen. Evitas Mausoleum aus schwarzem Marmor ist vergleichsweise schlicht – doch immer finden sich frische Blumen, die Verehrer im Gedenken an die frühere First Lady Argentiniens niederlegen.
Evita ist zwar mittlerweile durchaus umstritten, wird aber dennoch weithin bewundert. Ihr Aufstieg klingt wie ein Märchen: Aus einfachen Verhältnissen stammend, wurde sie erst Schauspielerin, dann Präsidentengattin. Sie initiierte Sozialprojekte, führte das Frauenwahlrecht ein – und starb bereits im Alter von 33 Jahren an Unterleibskrebs. Die Trauerfeier für sie dauerte über zwei Wochen, ihre Leiche wurde einbalsamiert und später ins Ausland gebracht. Erst 1976, 24 Jahre nach ihrem Tod, wurde Evita offiziell in Argentinien beigesetzt.
Auf dem Recoleta-Friedhof ist Evita durchaus in prominenter Gesellschaft. Mehrere Präsidenten und Nobelpreisträger sind ebenfalls auf dem fünf Hektar großen Gelände bestattet, zahlreiche Generäle und auch Maria de los Remedios de Escalada, die Ehefrau des in Argentinien hoch verehrten Freiheitskämpfers Jose de San Martin.
Doch wer mit Reiseleiterin Salao auf eine kostenlose englischsprachige Tour (dienstags und donnerstags, jeweils 11 Uhr) über den Recoleta-Friedhof geht, der erfährt nicht nur Details aus dem Leben von Politikern, Wissenschaftlern und Militärs. Sie schildert auch Schicksale, die ans Herz gehen. So berichtet sie von Rufina Cambaceres, einem Mädchen, das am Tag ihres 19-jährigen Geburtstags ins Theater gehen wollte – aber plötzlich einen vermeintlichen Herzanfall hatte.
Nachdem sie von drei Ärzten untersucht worden war, die allesamt ihren Tod feststellten, wurde sie in einem Mausoleum beigesetzt. Als die Familie einige Tage später das Grab besuchte, war das Kleid der Toten und die Verkleidung des Sarges teilweise zerfetzt. Vermutlich hatte Cambaceres keinen Herzanfall, sondern einen Starrkrampf, und war lebendig begraben worden.
Eine Legende besagt, dass ihr Geist allnächtlich auf dem Friedhof umherwandelt. In einem langen weißen Kleid streife sie zu mitternächtlicher Stunde zwischen den Gräbern entlang. Als normaler Besucher bekommt man sie natürlich nicht zu Gesicht – denn gegen 18 Uhr werden die Friedhofstore verschlossen.