Brasilien

Manaus: Isolierte Metropole

Die Regenwälder des Amazonasgebiets umgeben die Stadt Manaus. Foto: filipefrazao / istockphoto

Die abgelegene Großstadt hat das berühmteste Theater des Landes und liegt am mächtigsten Strom der Erde

Das Opernhaus von Manaus. Foto: jm

„Hey, ich bin ein Freund von Neymar!“, ruft der Trikotverkäufer an einem der Marktstände in der Nähe des Hafens auf Englisch. Der Tourist, der das gelbe Hemd der Selecao mit der Nummer 10 in Händen hält und überlegt, ob das ein gutes Mitbringsel für den Enkel zu Hause wäre, blickt auf: „Ein Freund von Neymar …?“, fragt der Urlauber ungläubig. „Okay“, gibt der Trikotverkäufer zu, „ich träume davon, ein Freund von Neymar zu sein.“

Der Traum der Kautschukbarone

Manaus, die Zwei-Millionen-Einwohner-Stadt am Amazonas, ist umgeben von Regenwald und nichts als Regenwald und so isoliert wie keine andere brasilianische Großstadt. Zur nächsten Metropole, nach Belem am Amazonasdelta, sind es 1.294 Kilometer. Luftlinie! Mit dem Auto sind es mehr als 3.000 Kilometer und mit dem Schiff ist man mehrere Tage unterwegs.

Da träumt man schon mal und da wurde immer schon geträumt und manchmal auch Wunschdenken mit der Realität vermengt. So sein wie die anderen. Das haben wollen, was die anderen haben: ein Opernhaus etwa. 1897 mitten im Dschungel als Teatro Amazonas eingeweiht, erbaut vom Geld der Kautschukbarone. Doch schon zehn Jahre später fiel für lange Zeit der letzte Vorhang, denn der Boom der Kautschukindustrie fand ein jähes Ende. Erst seit 1990 wird es wieder bespielt, und Placido Domingo sang bei der Premiere.

Manaus ist keine schöne Stadt – wenn man mal vom Teatro absieht. Die meisten Bauwerke aus dem 19. Jahrhundert, als die Stadt durch Kautschuk reich wurde, sind marode. 170 Regentage im Jahr und die tropische Luftfeuchtigkeit von gefühlt 100 Prozent sorgen für Schimmel an den Wänden und zwingen so die Bausubstanz langsam, aber sicher, in die Knie.

Der Trikotverkäufer packt nun das Neymar-Hemd in eine Plastiktüte und sagt: „Heute Abend spielt Flamengo gegen Botafogo! Hier bei uns!“ Diesmal ist es kein Traum. Das Stadtduell der beiden besten Mannschaften aus Rio de Janeiro findet tatsächlich in Manaus statt. Gäbe es solche Spiele nicht, würde das extra für die Fußball-Weltmeisterschaft gebaute Stadion wie auch die Gründerzeitbauwerke in der Innenstadt langsam vor sich hinrotten.

200 Millionen Euro kostete die Arena da Amazonia. Während der Fußball-WM fanden dort vier Spiele statt, während der Olympischen Spiele sechs. Das war’s. Denn das Team von Manaus spielt in der dritten Liga. Da ist ein 45.000-Mann-Stadion schlicht zu groß. Die Leute von Manaus sprechen inzwischen von einem Geisterstadion.

Wenig Magie, viel Dschungel

Manaus ist die wichtigste Stadt am Amazonas. Aber sie hat keinen Strand wie Recife, keine florierende Wirtschaft wie Sao Paulo und schon gar nicht die magische Anziehungskraft von Rio de Janeiro. Und dennoch träumt Manaus davon, zu den bedeutendsten Städten des Landes gerechnet zu werden. Aufgrund der Lage am Amazonas stimmt das sogar: Um den mächtigsten Fluss der Welt, der 20 Prozent allen Süßwassers der Erde mit sich führt, gruppiert sich ja auch der größte Regenwald der Welt. Und Exkursionen auf dem Amazonas oder Wanderungen im Dschungel sind die stichhaltigsten Gründe für einen Besuch – trotz altem Teatro und modernem Geisterstadion.

Jochen Müssig