Reisevertrieb

Reisebüros fordern Rettungsmodell von Bundesregierung

Mit einem Offenen Brief demonstrieren 20 Vorstände, Geschäftsführer, Aufsichtsratsvorsitzende und Beiräte von zwölf Reisebüro-Organisationen Zusammenhalt

Mit einem Offenen Brief demonstrieren 20 Vorstände, Geschäftsführer, Aufsichtsratsvorsitzende und Beiräte von zwölf Reisebüro-Organisationen Zusammenhalt. Foto: jacoblund/iStockphoto

Es ist eine gemeinsame Aktion, wie es sie wohl noch nie gegeben hat: 20 Vorstände, Geschäftsführer, Aufsichtsratsvorsitzende und Beiräte von zwölf Reisebüro-Organisationen haben die Bundesregierung in einem offenen Brief aufgefordert, den stationären Reisevertrieb angesichts der extrem angespannten Situation mit einem eigenen Rettungsmodell zu unterstützen, das über die allgemeinen Sicherungsmaßnahmen hinausgeht.

Die Unterzeichner mahnen dabei vor allem zwei Dinge an:

1. Staatlich abgesicherte Gutscheine als Lösung zur vorübergehenden Liquiditätshilfe.

2. Einen staatlichen Hilfsfonds als mittelfristige Branchensicherung.

Der Brief richtet sich an Wirtschaftsminister Peter Altmaier, Arbeitsminister Hubertus Heil, Finanzminister Olaf Scholz, Außenminister Heiko Maas sowie an Wolfgang Schäuble, den Präsidenten des Deutschen Bundestags. Zur Kenntnis ging er an alle Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder des Ausschusses für Tourismus des Bundestags.

Brief zeigt dramatische Lage im stationären Reisevertrieb

Die Unterzeichner stehen für tausende von Reisebüros, unterzeichnet wurde der Brief von den Franchise-Systemen und Reisebüro-Kooperationen Alltours Reisecenter, Best-Reisen, Derpart, Deutscher Reisering, Erfa 2000 Touristik, First Reisebüro, Lufthansa City Center (LCC), Reiseland Franchisenehmer-Beirat, Schmetterling, Tourcontact, TSS und TUI Reisecenter (Franchise). Die Organisationen werden den Brief auch an ihre Mitglieder verteilen, um über regionale Politiker und lokale Medien an den Reisebüro-Standorten die größtmögliche Aufmerksamkeit für die Lage der Reisebüros zu schaffen.

Der Brief schildert die dramatische Lage im stationären Reisevertrieb: „Wenn nicht schnell gehandelt wird, läuft die deutsche Gesellschaft Gefahr, bald keine echten Anlaufstellen mehr für ihre Fragen rund um das Thema Reisen zu besitzen“, schreiben die Unterzeichner. Durch die Kombination aus fehlendem Neugeschäft, rückwirkend wegbrechendem Altgeschäft, vergütungsfreier Mehrarbeit, ungeklärten Rechtsfragen und unsicheren Zukunftsaussichten treffe die Coronavirus-Krise den stationären Reisevertrieb „deutlich existenzbedrohender als andere Branchen“, heißt es in dem Brief. 

DRV unterstützt Forderungen

Der offene Brief der Reisebüro-Organisationen trifft die Meinung des Vertriebes im DRV. „Wir unterstützen natürlich die Forderungen nach staatlich abgesicherten Gutscheinen und einem Hilfsfonds für Reisebüros. Das sind die aktuell wichtigsten Punkte, die auch wir seit Wochen wiederholt an alle Entscheidungsträger richten“, teilte Reisebüro-Inhaber und DRV-Vizepräsident Ralf Hieke touristik aktuell mit. 

 

Der Brief im Wortlaut

Dies ist der genaue Wortlaut des Offenen Briefes:

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

sehr geehrter Herr Bundesminister Altmaier,

sehr geehrter Herr Bundesminister Heil, 

sehr geehrter Herr Bundesminister Maas,

sehr geehrter Herr Bundesminister Scholz,

die stationären Reisebüros mit ihren rund 100.000 Arbeitsplätzen stellen derzeit die Krisenfront für die deutschen Bürger dar, die mit ihrer Reise- oder Flugbuchung nach Rat und Tat suchen. Doch nun trifft es genau diesen bislang gesunden Mittelstand, der einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Krise beiträgt und in dieser Rolle auch im Sinne der Politik handelt, besonders hart.

Wenn nicht schnell gehandelt wird, läuft die deutsche Gesellschaft Gefahr, bald keine echten Anlaufstellen mehr für ihre Fragen rund um das Thema Reisen zu besitzen.

"Krisenzentren drohen leer auszugehen"

Denn nach gängigem Recht drohen genau diese Krisenzentren derzeit vollkommen leer auszugehen. Sie sind inzwischen sogar ganz konkret in ihrer Existenz bedroht.

Dabei bilden insbesondere stationäre Reisebüros das Rückgrat der deutschen Reisebranche. Nirgendwo sonst werden Reisekunden so persönlich, fachlich kompetent und kundenorientiert bedient wie hier. Aschewolke, Air Berlin, Thomas Cook und natürlich in besonderem Maße die aktuelle Krise mit ihren oben geschilderten Folgen zeigt, dass stationäre Büros auch in schwierigen Zeiten engagiert für ihre Kunden da sind.

Sie leisten damit umfangreichen Service auch für Reiseveranstalter, Fluggesellschaften, Hotels und andere Leistungsanbieter. Sollte dieser Teil der Wertschöpfungskette durch Insolvenzen großflächig beschädigt werden, leidet die gesamte Branche. 

Reisebüros als "wichtige Wertschöpfungsebene"

Und nur die Politik kann noch verhindern, dass sich Endkunden zukünftig mit ihren Fragen rund ums Thema Reise mit ausländischen Callcentern oder vorprogrammierten Chatbots zufriedengeben müssen.

Mit diesem Schreiben möchten wir Ihnen die Details darlegen, weshalb sich die Situation auf dieser für die deutsche Tourismusindustrie so wichtigen Wertschöpfungsebene als besonders dramatisch darstellt, denn tatsächlich bekommen stationäre Reisebüros die Coronavirus-Pandemie deutlich stärker, länger und auf unterschiedlichen Ebenen zu spüren:

- Wie vielen anderen Unternehmen auch, fehlt stationären Reisebüros gegenwärtig nahezu das komplette Neugeschäft, und das bereits seit der breiteren Berichterstattung über die gesundheitliche Bedrohung durch das Virus Ende Februar/Anfang März. Zwar dürfen Reisebüros seit dem 20. April wieder öffnen – sie haben aber nichts zu verkaufen. Die Reisewarnung der Bundesregierung gilt weiterhin auf unbestimmte Zeit, und Äußerungen aus der Politik, mit Urlaubsbuchungen vorsichtig zu sein oder die Sommerferien umzubauen, verunsichern die Menschen zusätzlich.

- Gleichzeitig sind die Reiseveranstalter gezwungen, im großen Stil und für die Kunden kostenlos ihre Reisen zu stornieren. Damit entfallen jedoch die Provisionen, die die Reisebüros für die erfolgreich vermittelten Reisen erhalten hätten. Und das bedeutet konkret: In den vergangenen Monaten erarbeitete Erlöse und Gewinne werden gerade rückwirkend vernichtet. 

- Nun hat sich die Bundesregierung zwar auf ein Gutscheinmodell geeinigt, also darauf, dass stornierte Reisen nicht in bar, sondern durch einen Reisegutschein erstattet werden. Allerdings ist diese Regelung bislang nicht verbindlich, weil die Zustimmung der EU-Kommission fehlt. Stationäre Reisebüros sollen also mit einer zusätzlichen Beratung der Kunden für diese freiwilligen Gutscheine werben – und das ohne Absicherung der Gutscheine durch den Staat! Hinzu kommt: Die Gutscheine können uns jetzt bei der Liquiditätssicherung helfen, die Umwandlung in eine neue Reise verursacht aber erneut hohe Prozesskosten im Reisebüro, deren Ausgleich bislang nicht geklärt ist. Stationäre Reisebüros erbringen mit genau diesen Beratungen, Stornierungen, Rückabwicklungen und Gutschein-Gesprächen zurzeit umfangreiche Serviceleistungen. Sie tun das vor allem auch, weil viele Anbieter für Endkunden derzeit gar nicht mehr erreichbar sind. 

80 Prozent Kurzarbeitergeld statt 60 Prozent

Diese Serviceleistungen werden aber allesamt nicht vergütet. Im Gegenteil: Für die notwendige Manpower werden genau die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gebraucht, die eigentlich in Kurzarbeit sind. Alle Stunden, die für diese notwendige, für das Reisebüro völlig unvergütete Arbeit geleistet werden, müssen durch das Reisebüro bezahlt werden. Deshalb benötigen wir dringend den derzeit diskutierten höheren Vergütungssatz beim Kurzarbeitergeld (80 Prozent anstatt 60 Prozent). 

Stationäre Reisebüros werden demnach trotz – oder gerade wegen ihres Einsatzes für die Kunden deutlich geschwächt aus der Coronavirus-Krise hervorgehen. 

Weiteres Problem: Umsatz wird nur langsam zurückkehren

Dazu kommt ein in unseren Augen gravierendes zusätzliches Problem: Der Umsatz im Reisevertrieb wird nur sehr langsam zurückkehren!

Denn während das Geschäft anderer Unternehmen vom Friseursalon bis zum Anbieter von Unterhaltungselektronik mit der Lockerung und der späteren Aufhebung der Kontaktbeschränkungen wohl sofort wieder anziehen wird, muss der Reisebüro-Sektor mit einer deutlichen Verzögerung des Geschäftes rechnen:

- Auch wenn in Deutschland wieder so etwas wie Normalität entsteht, so heißt das noch lange nicht, dass die Krise in beliebten Urlaubs- und Reisezielen ebenfalls überwunden ist! Reisewarnungen, Reiseverbote und Grenzschließungen tun ihr übriges.

- Reisebüros haben eine geschwächte Wirtschaft schon immer in besonderem Maße zu spüren bekommen, da sich die Konsumausgaben verlagern, zumal davon ausgegangen werden muss, dass in vielen Haushalten nach der Krise „der Gürtel enger geschnallt“ werden muss. 

Chancen auf Erholung stehen schlechter als in anderen Branchen

Das wiederum bedeutet: Die Chancen auf Erholung stehen im stationären Reisevertrieb schlechter als in anderen Unternehmen der Branche oder in anderen Branchen. Stationäre Reisebüros werden also einen längeren Atem brauchen als andere – doch genau der wird ihnen derzeit, wie oben geschildert, entzogen! 

Ohne die Lage in anderen Branchen kleinreden zu wollen: Durch die Kombination aus fehlendem Neugeschäft, rückwirkend wegbrechendem Altgeschäft, vergütungsfreier Mehrarbeit, ungeklärten Rechtsfragen und unsicheren Zukunftsaussichten trifft die Coronavirus-Krise den stationären Reisevertrieb deutlich existenzbedrohender als andere Branchen.

Wenn dem deutschen Staat und seiner Gesellschaft diese fachlich hochkompetente Dienstleistung etwas wert ist, dann brauchen stationäre Reisebüros – auch innerhalb der Reisebranche – ein eigenes Rettungsmodell, das über die allgemeinen Sicherungsmaßnahmen hinausgeht.

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